Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
zwängt. Er trägt Zivil, dunkle Hose und ein altes, dunkles Hemd. »Vielleicht sollte ich den Beruf wechseln.«
»Wenn man Sie erwischt, landen Sie im Gefängnis.«
»Wenn ich als Soldat erwischt werde, lande ich auf dem Heldenfriedhof. Das ist eindeutig die unangenehmere Alternative. Schießereien, Einbrüche – je länger ich mit Ihnen zusammenarbeite, desto größer wird meine kriminelle Erfahrung.«
»Hier lang«, sagt der Kripo-Beamte mit gedämpfter Stimme und schließt das Fenster.
»Haben Sie eine Taschenlampe dabei?«
»Ich mache das nicht zum ersten Mal«, erinnert ihn Stave. Er knipst den kleinen Apparat an, ein gelber Lichtkegel tanzt durch den Waschraum. »Wir müssen in den sechsten Stock«, flüstert er.
Dönneckes Büro ist nicht abgeschlossen, in der Luft hängt der Geruch nach Zigarrenrauch und verschwitzter Kleidung. Auf dem Schreibtisch sind Akten und Dokumente zu mehreren schiefen Stapeln getürmt, manche Türen und Schubladen der Schränke stehen eine Handbreit offen – der Raum eines Mannes, der sich sehr sicher ist, dass niemand hier je herumschnüffeln würde.
MacDonald sieht sich nur kurz um. »Dieses Durcheinander überlasse ich Ihnen«, flüstert er. »Ich weiß nicht einmal, nach was ich hier suchen sollte.«
»Ich auch nicht«, gesteht Stave. »Postieren Sie sich am Ende des Flurs – so, dass sie von dort sowohl dieses Büro als auch das Treppenhaus im Blick haben. Falls der Diensthabende zum Inspektionsgang kommt, warnen Sie mich.«
Der Oberinspektor durchstöbert vorsichtig die Stapel, darauf achtend, nichts verrutschen zu lassen. Zumeist sind es die Akten längst abgeschlossener Fälle. Woran arbeitet Dönnecke? Schließlich, fast versteckt zwischen zwei hohen Papiertürmen, eine schmale Mappe aus grüner Pappe, darauf ein Etikett mit schiefer Schreibmaschinenschrift: »Unbekannter Toter, Reimershof, 11. Juni 1948.«
Stave greift sich den Ordner, setzt sich, blättert rasch: Die Polizeifotos von Kienle. Ein sehr kurzes Vernehmungsprotokoll der Trümmerfrauen, erst Tage nach der Entdeckung der Leiche und der Kunstwerke durchgeführt von einem jungen Beamten. Czrisinis Obduktionsbericht – mit dem Hinweis auf den Judenstern, den der Rechtsmediziner in den Kleiderresten gefunden hat. Keine Notiz daneben, keine Ermittlungen danach, zumindest keine, die sich in den Akten widerspiegeln. Der Oberinspektor fragt sich, ob sein Kollege den Obduktionsbericht überhaupt gelesen hat. Keine weiteren Zeugenvernehmungen. Nicht einmal eine Anfrage an den Suchdienst des Roten Kreuzes. Ein Abschlussbericht Dönneckes, kaum ein Blatt lang. Als Fazit: »Kein Hinweis auf ein Verbrechen oder auf Suizid. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Opfer der Bombenangriffe von 1943. Nicht identifiziert. Vorname: Rolf (siehe Anlage).«
Der Kripo-Mann stutzt, blättert weiter zu den Anlagen. Ein handschriftlicher Vermerk, offenbar von einem Untergebenen Dönneckes, dazu ein weiteres Polizeifoto: Zusammengepresste, ledrige Fetzen sind unter dem Toten gefunden worden, nachdem man ihn angehoben hatte. Vielleicht die Überbleibsel einer Brieftasche, zersetzt von Regenwasser und Leichenflüssigkeit. Keine Münzen, kein Schlüssel, kein Foto. Aber ein Rest Papier, ein gräulicher Karton, womöglich der Mitgliedsausweis einer Vereinigung, eine Bibliothekskarte oder dergleichen. Verschmierte Tinte auf dem Fragment, ein einziges Wort mühsam entzifferbar: »Rolf«. Der Vorname des Karteninhabers? Oder desjenigen, der die Karte ausgestellt hat? Immerhin der einzige, wenn auch sehr vage Hinweis, der mit dem Toten überhaupt irgendeinen Namen verbindet.
Er spürt, wie sein Herz schneller schlägt. Das ist es, was ihn alle die Jahre bei der Kriminalpolizei gehalten hat: das alte Jagdfieber. Nichts davon sieht er in den Papieren, die er in Händen hält. Nüchterne Worte, keine Vermutung, keine Spekulation. Wenn das Dokumentenfragment mit dem Namen nicht einem Mitarbeiter aufgefallen wäre, der es zu den Akten gegeben hätte, dann hätte Dönnecke es sogar ganz ignoriert, vermutet Stave.
Er klappt die Mappe zu. Was hat er erwartet?
Eher aus Enttäuschung über dieses magere Ergebnis als aus echter Hoffnung auf einen weiteren Fund reißt er die Schreibtischschubladen auf: eine Lesebrille, zwei Zigarren, ein paar Bleistifte – und schließlich ein einziges Blatt, eine Seite aus einem Notizheft, vollgekritzelt in Dönneckes steiler, pedantischer Handschrift, die Überschrift doppelt unterstrichen: »Memo
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