Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
freier Platz an einem hellen Tisch, Gläsergeklirr. Carl Vincent Krogmann, Kaufmann, Nationalsozialist – und bis zum Mai 1945 Erster Bürgermeister Hamburgs. Er setzt sich zu mehreren distinguierten Herren, lächelt jovial.
Greiner mustert ihn, weiß vor Wut. Seine Lippen zittern, sein Augenlid flattert.
»Frisch aus der Internierungshaft in Bielefeld«, flüstert Stave. »Dem wird nicht mehr viel geschehen.«
»Die Kleinen henkt man und die Großen prassen«, flüstert Greiner, Mordlust in den Augen. Stave fragt sich, wie es gewesen sein muss, im Stadthaus in einer Gestapo-Zelle zu sitzen, bis jemand die Tür aufreißt und man in dieses Gesicht starrt.
»Manchmal stolpern auch die Großen«, sagt er und bemüht sich um ein sardonisches Lächeln.
Der Gestapo-Mann nickt, reißt die schwarze Tasche hoch und knallt sie auf den Tisch. »Also gut. Was wollen Sie wissen?«
»Haben Sie die Akte Schramm?«
Greiner schüttelt den Kopf. »Sie stellen naive Fragen.«
»Man soll die Hoffnung nicht aufgeben.« Dem Oberinspektor ist klar, dass die Gestapo im April 1945, nachdem die Briten schon Lüneburg eingenommen hatten, im Stadthaus, im Gefängnis Fuhlsbüttel und im KZ Neuengamme Spuren verwischt hat: Dokumente verbrannt, Häftlinge exekutiert. Keine Beweise, keine Zeugen. Wahrscheinlich einer der Gründe dafür, warum der Mann ihm gegenüber noch frei herumläuft, trotz aller Bemühungen von Staatsanwalt Ehrlich.
Greiner zieht eine Karteikarte aus grauer Pappe hervor. »Eine Personalkarte«, flüstert er und lächelt wehmütig. »Zwei Millionen hatten wir davon: Juden, Kommunisten, warme Brüder, Bibelforscher, Gewohnheitsdiebe, Engelmacherinnen. Wir haben sie alle erfasst. Reichsfeinde. Wehrkraftzersetzer. Einmal irgendwo im Reich bei der Gestapo gelandet – und der Name steht für immer in der Kartei. Die Menschen haben immer gedacht, dass unsere Spitzel allgegenwärtig sind. Oder dass wir in den Zellen alles aus den Gefangenen herausprügeln.«
»Haben Sie das nicht?«
»Doch. Aber dafür muss man ja erst einmal einen Gefangenen haben. Und das«, Greiner streicht liebevoll über den Karton, »ist unser Gedächtnis gewesen. Namen, Namen, Namen. Sind wir alle nicht immer noch Jäger und Sammler, wie unsere Ahnen in den Höhlen? Der Jäger ist der Held. Aber der Sammler ist derjenige, der für die harten Zeiten vorsorgt. Wir haben die ausführlichen Akten vor den Nasen der Tommys verbrannt. Aber diese Karten, zumindest einige, habe ich behalten. Für andere Zeiten.«
Stave fragt sich, ob es irgendwo auch eine Karte gibt, auf deren Vorderseite sein Name in penibler Schrift geschrieben steht. Er zieht die Pappe aus Greiners widerstrebendem Griff.
»Schramm, Dr. Alfred«, liest er, darunter die Adresse, die er schon kennt. »Bankier, kein Pg, Kontakte zum Ausland«, steht dort. Vermerke darüber, dass Schramm verdächtigt wird, Geld über die Grenzen zu schaffen und Juden »zu unterstützen«. Ein Verzeichnis mehrerer Verhöre und Hausdurchsuchungen. Kein Hinweis auf ein je ergangenes Urteil. Kein Vermerk über »entartete Kunst«. Kein Name eines mit Schramm verdächtigten Komplizen, Gehilfen oder Mitarbeiters. Wäre auch zu schön gewesen, wenn ich etwas über expressionistische Werke bei der Gestapo lesen würde, denkt sich der Oberinspektor, oder wenn mir hier ein Mann mit dem Vornamen »Rolf« entgegengeleuchtet hätte.
»War das Ihr Fall?«, fragt er.
Greiner schüttelt den Kopf. »Ich hatte nie mit dem zu schaffen. Ich habe diese Personalkarte nur behalten, weil Schramm ein einflussreicher Mann geblieben ist. Und man kann ja nie wissen …«
Stave dreht die Karteikarte um. Die Namen der Polizeibeamten, die für die Anlegung der Personalkarte verantwortlich waren. Zwei kaum leserliche Namen, die Stave nichts sagen. Und ganz unten: »Cäsar Dönnecke, K.z.b.V.«
Die Abkürzung steht für »Kommando zur besonderen Verwendung« – eine Sondereinheit in Hamburg, die auf allen Dienststellen gefürchtet war.
»Der Dönnecke hat es richtig gemacht«, brummt Greiner, der dem Blick des Oberinspektors gefolgt ist. »Hat sich nie zur Gestapo versetzen lassen, ist immer brav bei der Kripo geblieben. Die Tommys haben ihn laufengelassen.«
»Ich weiß«, murmelt Stave düster. Plötzlich ahnt er, warum Dönnecke den Fall des unbekannten Toten im Reimershof geräuschlos beenden möchte: Der hat Angst, dass jemand vom Reimershof auf Schramm kommt – und von Schramm wiederum eine Verbindung zu Dönnecke
Weitere Kostenlose Bücher