Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Geschichte.«
»Ist Anna bei den Engländern …«, Stave sucht nach dem richtigen Wort, »bekannt?«, schließt er lahm.
MacDonald erlaubt sich ein jungenhaftes Lächeln. »Machen Sie sich keine Sorgen: Die ganze Garnison weiß, dass diese Dame unseren Offizieren Antiquitäten verkauft. Und selbst der dümmste Rekrut kann sich denken, woher sie ihre Schätze hat – und dass man sie besser in Ruhe lässt, wenn man nicht höllischen Ärger mit einigen kunstsinnigen Colonels und Captains riskieren will.«
»Ich denke eher an die familiären Verstrickungen der Frau von Veckinhausen.«
Der Lieutenant wirft ihm einen raschen, prüfenden Blick zu. »Sind das wirklich private Fragen und keine polizeilichen Ermittlungen?«
Staves Herzschlag setzt für einen Moment aus. »Ja. Aber müsste es mich interessieren? Ich meine: als Polizisten?«
»Bedauerlicherweise ja. Obwohl das eher eine Sache meiner Kameraden ist.« Der Engländer schaltet einen Gang hoch, eine ruckartige, fast wütende Geste. Als hasste er das, was er gerade tun muss. »Die Dame, von der wir sprechen, hat wieder ihren Mädchennamen angenommen, nachdem sie als Ostflüchtling in Hamburg gestrandet war. Was strenggenommen nicht ganz legal ist. Denn um das zu tun, muss man erst einmal vor Gericht ordentlich geschieden worden sein.«
»Wer ist ihr Mann?« Stave merkt, dass seine Stimme klingt, als habe ihm jemand mit einem Schlag in die Magengrube die Luft aus dem Leib gepumpt.
»Klaus von Gudow. Hier kommen meine Kameraden ins Spiel. Wir würden diesen Klaus von Gudow gerne befragen. Wir würden ihn noch lieber vor Gericht stellen. Und am liebsten würden wir ihn aufknüpfen.«
»Ein Kriegsverbrecher?« Stave schwindelt.
»Auf der Liste der gesuchten Kriegsverbrecher steht er nicht auf dem ersten Blatt, aber ziemlich weit oben auf dem nächsten. Die zweite Garde des NS-Regimes. Die Kerle, die die Sache zum Laufen brachten.«
»Die Sache?«
»Den Judenmord.«
Stave schließt die Augen. »Sie können mir ruhig die ganze Geschichte zumuten«, murmelt er.
»Tut mir leid, alter Junge. Ich würde Ihnen das alles gerne ersparen. Aber da Sie selbst davon anfangen …«
»Ich habe zufällig Annas alte Handtasche gesehen, mit ihren Initialen: A.v.G. Da macht man sich seine Gedanken.« Stave verzichtet darauf, auch von dem eingetauschten Ehering zu berichten und von Dönneckes Notizen.
»Klaus von Gudow«, fährt der Lieutenant mit nüchterner Stimme fort, »ist ein ostelbischer Junker wie aus dem Bilderbuch: Ahnen aus dem Mittelalter. Irgendwelche Urgroßväter, die sich mit Bismarck auf dem Paukboden schlugen. Der Vater war ein persönlicher Freund Hindenburgs. Gudow selbst ist ein Jurist mit Prädikatsexamen, der im diplomatischen Dienst eine beeindruckende Karriere absolviert hat. Er hatte das richtige Parteibuch.«
»Vor 1933?«
»Weit davor. Jedenfalls endete dieser Aufstieg im Auswärtigen Amt in der Wilhelmstraße: Legationsrat und Leiter des Amtes D III. Intern das ›Judenreferat‹ genannt.«
»Aber er ist Ihnen 1945 entwischt?«
»Leider. Verschollen im Endkampf um Berlin. Gerüchte über einen Klaus von Gudow in Österreich. In Italien. In Argentinien. In Paraguay. Niemals Beweise. Als seine Gattin in Hamburg auftauchte, fanden unsere Leute das natürlich interessant. Vielleicht versteckt sich der dazugehörende Gatte irgendwo in Hamburg? Wir haben sie eine Zeitlang observiert. Fehlanzeige. Das und der Namenswechsel legen nahe, dass sie Klaus von Gudow sehr gründlich vergessen will.«
Stave denkt wieder an den Ring, den Anna beim Juwelier gekauft hat. Das wirkte wie das Gegenteil von gründlichem Vergessen. »Hat Anna von Veckinhausen etwas …«, er zögert, »mit der Sache ihres Mannes zu tun?«
»Niemand hat je gegen sie ermittelt. Sie hatte kein Amt inne, hatte nicht einmal ein Parteibuch. Sie war die Hausherrin. Gastgeberin eines recht geschätzten Salons in Berlin, wenn ich mich recht entsinne. Sehr kultiviert. Wissen Sie, die Hälfte der Leute, die auf unserer Fahndungsliste stehen, besteht aus Schlägern, Sadisten und anderen Wahnsinnigen. Charakterliche Wracks, die in der SA aufgestiegen sind und später in einem KZ oder einem Ghetto ihre Triebe ausleben konnten. Die zweite Hälfte jedoch kommt von einem anderen Planeten: perfekte Familienmenschen, liebevolle Gatten, fürsorgliche Väter, Singen unterm Weihnachtsbaum und zur Sommerfrische an die Ostsee. Männer, die Sie gern als Nachbarn hätten, als Kollegen, vielleicht sogar
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