Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
herstellt. Schramm hat jetzt wieder viel Macht. Würde der Bankier erfahren, dass einer seiner einstigen Bedränger immer noch bei der Polizei ist und gar in seinen alten Angelegenheiten herumschnüffelt, er würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um Dönnecke zu ruinieren.
»Dabei hat der Dönnecke mit uns zusammen im K.z.b.V. gearbeitet«, fährt Greiner ungerührt fort, weil ihm Staves Wut entgeht. »Ein ganz harter Hund. Hat noch im Februar 1945 zwei Arbeiter überführt, die in einer zerbombten Fabrik Lebensmittelmarken gefunden und verschanzt hatten. SA-Männer der ersten Stunde. Hat ihnen nichts genutzt.« Mit den Händen formt er eine imaginäre Schlinge und legt sie sich um den Hals.
Stave nimmt die Karteikarte und steckt sie ein. Er macht sich nicht die Mühe, um Erlaubnis zu bitten. Als der Oberkellner kommt und den Kartoffelsalat bringt, reibt Greiner verlegen die Fingerspitzen aneinander, wartet, bis der Kellner wieder gegangen ist, blickt sich um, reckt schließlich vertraulich den Kopf über die Tischplatte. »Als SS-Sonderführer Heißmeyer, der im KZ Neuengamme mit Häftlingen Tuberkulose-Experimente durchgeführt hat, im Frühjahr 1945 kalte Füße bekam, ließ er zwanzig infizierte Kinder in eine Schule am Bullenhuser Damm bringen. Im Keller bekamen die Kinder Morphium, dann haben einige Männer die Bewusstlosen erhängt. Und jetzt raten Sie mal, wer dabei war.«
Stave starrt auf den Kartoffelsalat und dann aus dem Fenster. Sein Magen fühlt sich an, als hätte er Säure geschluckt. »Beweise?«, keucht er.
»Ich könnte welche suchen. Haben Sie was gegen den Kollegen Dönnecke?«
»Man kann ja nie wissen«, murmelt Stave. Wenn ich jetzt laut werde oder einfach gehe, dann wird der Kerl mir nie wieder etwas anvertrauen, denkt er. Und vielleicht brauche ich ihn noch. Er zwingt den ersten Löffel Kartoffelsalat in den Mund und würgt die klebrige Pampe hinunter.
»Für dreißig Reichsmark konnte man zu Führers Zeiten an die See fahren«, verkündet Greiner, »und so einen Salat hätte man nicht einmal einem Juden vorgesetzt.« Aber er schaufelt seine Mahlzeit trotzdem mit erstaunlicher Geschwindigkeit in sich hinein.
»Die Zeiten ändern sich«, erwidert Stave und wünscht sich, dass er weit fort wäre.
Ein verschwundener Ehemann
Samstag, 19. Juni 1948
In der Nacht ist Stave dankbar für den Regen, denn die Tropfen, die gegen die Fenster schlagen, kaschieren die lastende Stille in seiner Wohnung. Die leere Hälfte seines Doppelbettes. Das Zimmer, das er für Karl eingerichtet hat, in das sein Sohn aber seit einem Jahr nicht einmal einen Fuß gesetzt hat, geschweige denn, dass er dort je wieder geschlafen hätte. Die karge Küche, in der längst kein Duft nach Kaffee oder frischem Brot mehr in der Luft schwebt.
Er hätte gerne gelesen, das hätte dem ruhelosen Geist ein Ziel gegeben, aber er muss Strom sparen und seine letzte Kerze ist schon vor Wochen niedergebrannt. Und so liegt er im Bett und lauscht dem Regen und seinen Gedanken.
Ich verstehe gar nichts, sagt sich Stave. Nicht meine Arbeit, nicht meine Geliebte, nicht meinen Sohn. Dönnecke ist ein Schwein und ein Kindermörder, aber er hat recht: Ich tauge nichts mehr.
Er schwingt sich aus dem Bett, tastet sich bis ins Wohnzimmer, durch dessen Fenster seit einigen Wochen der Schein der ersten reparierten Laterne in seiner Straße dringt, und beginnt mit Dehnübungen. Liegestützen, bis die Oberarme zittern und sein Oberkörper mit einem dumpfen Knall auf den Linoleumboden schlägt. Kniebeugen. Der Schweiß läuft ihm in die Augen, im Mund der Geschmack nach Eisen. Längst ist er nackt bis auf seine Unterhose. Herzrasen. Er zählt mit, jede Zahl ein Stoßseufzer zwischen gequälten Atemzügen. Schließlich stellt er sich auf sein linkes Bein, hält mit waagerecht ausgestreckten Armen mühsam das Gleichgewicht. Stellt sich hoch auf die Zehenspitzen. Absenken, bis die Ferse fast den Boden berührt. Wieder hoch. Wieder absenken. Sein verkrüppeltes Fußgelenk fühlt sich bei jedem Hochdrücken an, als schlüge jemand von der Innenseite mit einem Hammer dagegen.
Als endlich graues Dämmerlicht hereinkriecht, ist es noch nicht einmal fünf Uhr. Stave steht im Wohnzimmer, auf dem Boden um seinen Körper eine zerlaufene Pfütze aus Schweiß. Die Narbe in seiner Brust schmerzt. Er wankt ins Bad, übergibt sich vor Erschöpfung in die Toilette, steigt mit letzter Kraft in die alte Emaillewanne. Kein Warmwasser, aber das ist auch nicht
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