Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Kripo-Beamte findet keine Klingel, also klopft er an das Haus Nummer sieben, hoffend, dass er seine schwere Schreibmaschine nicht umsonst geschleppt hat. Er muss einige Minuten lang warten, die ihm endlos vorkommen. Ein Mann im Morgenmantel öffnet ihm, ein Schwall abgestandener Luft wabert ins Freie, Zigarettenqualm und der Dunst nach dem Bier vom Vortag.
Stave stellt sich und sein Anliegen vor, unterdrückt den Impuls, den Polizeiausweis zu zücken. Muss ja nicht jeder wissen, bei Geschäften dieser Art; obwohl offiziell nicht direkt verboten, macht es sich nicht gut, als Krimsche aufzutreten.
»Schindler«, stellt sich der Mann vor. Stave schätzt ihn auf dreißig Jahre, Junggeselle, harter Blick. Den möchte ich nicht zum Nachbarn haben, denkt er.
»Das ist vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt für ein Geschäft«, fährt Schindler fort, anscheinend unberührt davon, dass sein Besucher im Regen ausharrt, während er im trockenen Eingang steht.
»Soll ich später wiederkommen?«
»Nein. Ich meine, so kurz vor dem neuen Geld. Als ich den Zettel angeheftet habe, konnte ich das ja nicht ahnen. Ich weiß nicht, ob ich das Fahrrad überhaupt noch tauschen soll. Sind so unsichere Zeiten.«
»Die Zeiten werden besser«, erwidert Stave und bemüht sich, seiner Stimme keinen flehenden Klang zu geben. Lass mich jetzt nicht abblitzen, bittet er stumm. Frechheit siegt, überlegt er dann, gibt sich einen Ruck und drängt einfach ungefragt in den schummrigen Flur. Bevor Schindler noch etwas sagen kann, reißt er Decke und Packpapier von der Olympia.
»Tadellose Ware. Vorkriegsqualität«, sagt er.
Der Mann blickt auf die Schreibmaschine und befeuchtet mit der Zungenspitze die Lippen. Ich habe ihn, frohlockt der Kripo-Beamte innerlich, als er die Gier in den Augen des anderen aufblitzen sieht. Zugleich wird er wachsam: Was mag das für ein Fahrrad sein? Wirkt wie ein schlechtes Geschäft.
Schindler zögert eine Weile, als rechne er im Kopf etwas nach. »Gut«, brummt er schließlich. »Bleiben Sie hier. Ich hole das Rad aus dem Schuppen im Garten.« Er verschwindet in einem düsteren, stillen Raum hinter dem Flur. Nach einigen Augenblicken schiebt er ein altes, schwarz lackiertes Tourenrad herein. Beschädigter Ledersattel, das Gummi der hellen Ballonreifen rissig, keine Griffe an der stählernen Lenkstange, kein Licht, nur eine Vorderradbremse.
»Hat noch alle Speichen, das ist das Wichtigste«, murmelt Schindler und klingt dabei, als würde das nicht einmal ihn selbst überzeugen.
Stave beugt sich zum Rahmen, wo ein Firmenzeichen aufgenietet ist. Eine springende Gazelle, darunter »No. 10 Heeren Rijwiel«.
»Mitbringsel aus Amsterdam«, erklärt Schindler ungerührt. »War dort stationiert. Zu irgendwas muss das Landserdasein ja gut sein. Aber ich habe es jetzt am Knie.«
»Nehme ich«, stößt Stave hervor, bevor es sich der Mann noch einmal überlegen kann – und bevor ihn Skrupel überwältigen, diese Plünderungsbeute einzutauschen.
Fünf Minuten später fühlt sich Stave unfassbar jung. Obwohl der Regen inzwischen bis auf seine Schultern und die Oberschenkel dringt, obwohl jeder Muskel noch nach seinem nächtlichen Training schmerzt, obwohl zwei Kettenglieder zusammengerostet sind und die Kette deshalb mit jedem Tritt in die Pedale hakt, obwohl die Vorderradfelge einen Schlag hat, dass der Lenker zittert, und obwohl er ständig fürchtet, die alten Reifen könnten unter ihm platzen, fährt er beschwingt über das Kopfsteinpflaster, umkurvt Ziegelhaufen, Bombenkrater und Brombeerbüsche, die aus dem aufgeplatzten Asphalt der Straßenränder wuchern. Freiheit! Ein kleiner Triumph, eine winzige Rückkehr zur Normalität. Endlich kein Gedanke daran, beim Gehen sein hinkendes Bein zu verbergen. Endlose Wege, bei denen er noch gestern aus lauter Langeweile seine Schritte zählte und irgendwann in den Hunderten aufgab, fliegt er nun hinunter. Er schlingert unbeholfen wie ein Fünfjähriger, weil er so lange nicht mehr auf einem Rad gesessen hat, aber ihn durchströmt auch das gleiche Glück wie ein Kind, das endlich alleine unterwegs ist.
Je näher er der Innenstadt kommt, desto belebter sind die Straßen. Er erschrickt sich, als ihn das erste Mal ein Auto überholt. Andere Fahrradfahrer, jemand klingelt wütend, obwohl er nicht den Grund dafür versteht. Fußgänger auf beiden Seiten, aufgeregt und ziellos. Grüppchen an Straßenecken, in denen Männer gestikulieren. Stimmenfetzen. Immer wieder: »Tag X.«
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