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Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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als Freunde. Man musste nicht unbedingt ein Nazi sein, um mit diesen Männern glücklich zu leben. Vorausgesetzt, man war nicht zufällig Jude oder Kommunist. – Wir sind da.«
    MacDonald bremst vor dem Winterhuder Fährhaus. Stave hat gar nicht mehr auf den Weg geachtet. Er fühlt sich wie durchgeprügelt. Ungeschickt wuchtet er seine Beine aus dem Fußraum, drückt sich am Karosserieblech aus dem Sitz.
    »Ich hätte Ihnen lieber angenehmere Dinge erzählt. Aber verzeihen Sie, wenn ich mich in Sachen einmische, die mich nichts angehen: Nach diesem schrecklichen Durcheinander«, der Lieutenant deutet mit vager Geste auf die Ruinen ringsum, »hat man eine zweite Chance im Leben verdient.« Er macht eine Pause und tippt zum Abschied mit der Rechten an den Mützenschirm. »Vergessen Sie darüber aber unsere Verabredung nicht: Bei Veit Harlan, morgen.« Er braust davon.
    Eine zweite Chance, sagt sich Stave. Er würde nun gerne über alles nachdenken. Doch ihm bleibt dazu keine Zeit. Er schlägt den Mantelkragen hoch, weil es aus den traurigen Kastanien am Straßenrand tropft wie aus einem vollgesogenen Schwamm, nimmt die zehn Schritte bis zum Eingang des Winterhuder Fährhauses und drückt die Klinke hinunter. Durch das Glas hat er Philip Greiner bereits entdeckt: Am hintersten Tisch in der dunkelsten Ecke des Raumes, mit Blick zur Tür. Der ehemalige Gestapo-Mann hat ihn ebenfalls erkannt und nickt nervös. Mitte dreißig, schlank, die blonden Haare straff zurückgekämmt, wasserhelle Augen, ein ständiges Zucken unter dem linken Lid. Der Oberinspektor muss sich zwingen, nicht auf diesen Tick zu starren.
    »Schön, dass Sie pünktlich sind«, begrüßt er ihn, setzt sich. Keiner bietet dem anderen die Hand an.
    »Schön für Sie vielleicht«, erwidert Greiner und fingert eine John Players aus der Packung, klopft sie auf den Tisch, zündet sie umständlich an. »Für mich ist das hier ungefähr so angenehm wie ein Termin beim Zahnarzt«, murmelt er durch eine blaue Qualmwolke, die zwischen seinen dünnen, farblosen Lippen quillt. Stave muss an die rauchenden Trümmer am Morgen nach den nächtlichen Bombenangriffen denken. Nimm dich zusammen. Er sieht, dass eine schmale, schwarze Aktentasche unauffällig neben Greiners linkem Fuß steht. Ein gutes Zeichen.
    »Essen wir etwas«, schlägt der Oberinspektor vor, »zumindest das unterscheidet unser Treffen von einem Arztbesuch.« Er winkt den Oberkellner heran. Da die meisten Lebensmittel rationiert sind, kann man auch drei Jahre nach Kriegsende kaum eine Mahlzeit in einem Restaurant bestellen. Legal zumindest. Inzwischen hat sich jedoch ein neuer Brauch eingespielt, den Stave eigentlich hasst, wie er alle Tricks hasst, mit denen sinnvolle Regeln umgangen werden. Aber an diesem Tag will er ihn selbst anwenden, denn er glaubt, dass der ehemalige Gestapo-Mann mit vollem Bauch gesprächiger wird.
    »Ich habe leider meine Lebensmittelmarken vergessen«, sagt er mit bedauerndem Lächeln zum Oberkellner und verachtet sich dafür.
    Der nickt verständnisvoll. »Ich könnte Ihnen meine leihen«, säuselt er. »Gegen 30   Reichsmark Pfand.«
    Greiner blickt rasch von seinem Gegenüber zum Kellner und zurück, dann fällt ihm plötzlich ein, dass er ebenfalls seine Marken vergessen hat. Der Kellner verschwindet, 60   Reichsmark in der Tasche, in seinem Block eine Bestellung von Kartoffelsalat und Brot.
    »Sie überraschen mich«, gesteht Greiner, als der Kellner außer Hörweite ist.
    »Ich habe Hunger«, erwidert der Oberinspektor, und das ist nicht einmal gelogen.
    An einem Nebentisch wird unauffällig eine Flasche Rheinwein entkorkt, von irgendwo her duftet es verführerisch nach Mokka. »Hier werden Hunderte Reichsmark verfressen«, brummt Greiner verdrießlich.
    »Nächste Woche können Sie sich mit den Lappen nur noch Zigaretten anzünden.«
    »Dafür reicht mein Geld auch nicht mehr.«
    »Sie hat es hart erwischt?«
    »Wer nimmt mich schon? Der alte Beruf klebt an mir wie Aussatz. Und ein Gerichtsverfahren droht mir auch noch. Dabei habe ich bloß meine Pflicht getan.«
    »Wer klagt Sie an?«
    »Staatsanwalt Ehrlich. Ein Jude, ist doch typisch.«
    Armes Schwein, denkt Stave mitleidlos. Laut sagt er: »Vielleicht kommen Sie ja glimpflich davon. Gibt ja auch andere, die weich gefallen sind.«
    Er deutet mit dem Kinn auf einen schmalen Mann in langem Wollmantel, der eben eintritt. Korrekter Seitenscheitel, Halstuch, Hut, ernster Blick. Großes Hallo, der Oberkellner buckelt, ein

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