Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
»Neue Mark.« Leere Schaufenster, verhängte Geschäftsräume. Keine Auslagen, keine Preisschilder, kein Paar Schuhe, keine Glühbirne, kein Wollknäuel. Blanke Regale, als wäre die schon lange arme Stadt über Nacht endgültig leergeplündert worden. Gut, dass das Wetter so schlecht ist, denkt Stave, das dämpft die Neigung der Menschen, sich auf den Straßen zusammenzurotten.
Er wird rechtzeitig das Restaurant im Fischereihafen erreichen, kein Grund sich abzuhetzen, ein ganz neues Gefühl. Die Wege in Altona bis zum Elbufer hinunter sind steil, Stave nimmt sich sogar die Zeit, hier abzusteigen und seinen neuen Besitz zu schieben. Das würde ihm noch fehlen, die Vorderradbremse zu ziehen und auf der abschüssigen Straße mit dem Kopf voran über den Lenker zu fliegen.
Mittags ist es im Fischereihafen ruhig: Die Schiffe legen nachts an und verkaufen ihren Fang bis zum frühen Morgen. Nun spritzen die letzten müden Angestellten in Gummischürzen Fischköpfe und Innereien aus den Hallen am steinernen Elbkai in die Gullis am Straßenrand, umlagert von hungrigen Katzen.
Stave fährt bis zum schäbigen Eingang von »Sellmers Kellerwirtschaft«. Erst dort fällt ihm auf, dass er kein Schloss und keine Kette hat, um seinen neuen kostbaren Besitz zu sichern. Ratlos blickt er sich um, zuckt mit den Achseln, hebt das Fahrrad auf die Schulter und tritt ein.
Als ihm ein empörter Kellner entgegentritt, setzt er seine Last behutsam ab und zückt seinen Ausweis. »Polizei. Wo kann ich das Rad unterstellen?«
Der Mann ist viel zu verblüfft, um das absurde Ansinnen abzulehnen. »Hier entlang.« Ein düsterer Flur neben der Küche. Der Oberinspektor schiebt das Fahrrad an eine feuchtigkeitsfleckige Wand, nickt dem Kellner gravitätisch zu, als habe der bei der Ergreifung eines Mörders geholfen, und tritt in den Gästeraum ein.
»Du bist der einzige Mann, der nicht seinen Mantel in der Garderobe aufhängt, sondern sein Fahrrad«, begrüßt ihn Anna.
Sie sitzt an einem kleinen Tisch am Ende des Raums, an einem schlierigen Fenster zur Elbe. Ihren schlanken Körper umspielt ein Kostüm von der Farbe des Flusses, ihre schwarzen Haare werden von einem elfenbeinfarbenen Stoffband gehalten, bis auf eine Strähne, die ihr in die Stirn fällt und mit der sie immer wieder gedankenverloren spielt. Stave muss den Impuls unterdrücken, ihr die Strähne behutsam aus dem Gesicht zu streichen. Auf dem Stuhl neben ihr liegt ein heller Damenmantel über der Lehne, aus dessen Falten noch immer Wasser zu einer kleinen Pfütze auf dem Fußboden hinabtröpfelt. Er setzt sich deshalb auf den Platz ihr gegenüber.
»Gut siehst du aus.«
Sie lächelt, und ihm zieht es das Herz zusammen. »Danke für die Einladung. Du kennst das Restaurant schon?«
»Ich war ein einziges Mal hier. Mit MacDonald«, setzt er rasch hinzu, damit sie nicht denkt, er treffe sich hier mit einer anderen Frau. Absurd.
»Was kannst du empfehlen?«
»Die Scholle wird dich nicht umbringen.« Er winkt einem Kellner und gibt ihre Bestellung auf. Wieder der Trick mit den »vergessenen« Lebensmittelmarken. Warum nicht? Stave hätte sein neues Fahrrad hergegeben, nur um hier bei Anna zu sitzen. Zugleich fürchtet er sich vor dem, was er mit ihr besprechen will.
»Wie bist du an das Rad gekommen?«
Er erzählt es ihr, ausführlicher als notwendig – und glücklich darüber, das Entscheidende noch einige Momente länger ungesagt lassen zu können. Der Fisch. Zu stark gebraten, wie beim letzten Mal, die Kartoffeln matschig, die »Mayonnaise« eine weißliche Quarkpampe. Nun reden sie über das Essen. Doch irgendwann stehen die leeren Teller vor ihnen, der Kellner kommt, Stave bestellt zwei Tassen Ersatzkaffee.
»Also?«, fragt Anna und blickt ihn forschend an. »Was hast du auf dem Herzen?«
Stave fühlt sich durchschaut. Fang jetzt bloß nicht an zu stottern, ermahnt er sich. »Ich wollte dich wiedersehen.«
»Das freut mich.« Sie lächelt wieder, wird dann ernst. »Ich will nicht behaupten, dass ich dich bis in die Tiefe deiner Seele kenne«, fährt sie leise fort, »doch wir …«, sie sucht nach den richtigen Worten, »haben eine gemeinsame Geschichte. Du schaust mich nicht an wie der Mann, der einmal mein Liebhaber war. Sondern so wie damals, als wir uns kennengelernt haben. Wie ein Polizist beim Verhör.«
»Auch damals war ich schon verliebt.«
»Aber du wolltest etwas herausfinden.«
»Seit ich dich kenne, will ich eigentlich nur eines wissen: Ob du frei
Weitere Kostenlose Bücher