Der Fänger
denken und auch Igor nichts von ihren Gefühlen verraten, denn sie hoffte, dass sie den Arzt kein zweites Mal zu Gesicht bekam.
Die beiden Männer blieben noch im Nebenraum verschwunden. Sie kehrten auch nicht zurück, als sie ihr Sandwich verzehrt hatte. Um sich die Langeweile zu vertreiben, schaltete sie den Fernseher ein, zappte durch die Kanäle und freute sich darüber, dass sie sogar einen russischen Sender empfangen konnte.
Fast wie zu Hause. Nur eben in einer anderen und viel besseren Umgebung. Ihre Augen leuchteten. Sie starrte auf den Bildschirm und vergaß die Welt um sich herum.
Es wurde ein alter Film gezeigt, der in Moskau spielte, einer Stadt, die sie noch nie gesehen hatte, abgesehen von einer Zwischenlandung auf dem Flughafen.
Raissa hatte sich immer nach der Stadt gesehnt, das war jetzt vorbei, denn nun lebte sie in London. Dass sie dorthin kommen würde, daran hätte sie nicht im Traum gedacht. Jetzt war es wahr. Sie saß in London und schaute sich einen russischen Film an.
Und sie war so darin vertieft, dass sie nicht sah, was hinter ihrem Rücken passierte...
Dort öffnete sich langsam die Tür. Igor Sartow erschien. Er betrat das Zimmer nicht, sondern blieb zunächst kurz vor der Schwelle stehen und ließ seinen Blick über den Rücken der jungen Frau gleiten, die in die Welt des Films eingetaucht war.
Raissa hatte sich einen weißen Pullover kaufen können und dazu eine schwarze Hose mit Applikationen aus Perlen und Strass. Davon hatte sie auch immer geträumt, und so war bei ihr wieder mal ein Traum wahrgeworden.
Während der Fänger auf den Rücken der jungen Frau schaute, bewegten sich seine Gedanken in eine andere Richtung, zurück in die nahe Vergangenheit. Er dachte an das Gespräch, das er mit dem Arzt geführt hatte...
***
»Sie ist gut, Igor!«
»Ich weiß.«
»Es stimmt alles bei ihr.«
»Um so besser!«
»Perfekt.« Der Arzt lehnte sich im Sessel zurück und spielte mit seiner Brille. »Du weißt, was das bedeutet, Igor?«
»Du wirst es mir sagen.«
»Ich will sie haben.«
»Das habe ich mir gedacht. Du wirst sie auch bekommen, allerdings zu einem neuen Preis.«
»Wie meinst du das?« Im Gesicht des Mediziners zuckte es. Er war ein kleiner Mann mit dunklen Haaren und starken Bartschatten auf den Wangen. Seine Pupillen lagen wie Knöpfe in den Augen, die sich kaum bewegten und nur starr blickten.
Igor rieb sich die Hände. »Ich denke an fünfzig Prozent mehr.«
Der Arzt schwieg einen Moment nachdenklich. »Das ist eine Menge Geld.«
»Das nicht du zahlen musst.«
»Ich weiß.«
»Deine Klienten sind reich genug«, sagte Igor. »Sie wollen das Leben zurückbekommen, und dafür werden sie zahlen müssen, auch wenn sich die Preise erhöht haben. Das ist nun mal so in der freien Wirtschaft. Sie werden es begreifen. Du musst es ihnen nur richtig verkaufen. Das wirst du ja bestimmt können, mein Freund.«
»Das ist ein unwürdiges Geschacher«, hielt ihm der Arzt entgegen.
»Lass uns darüber nicht diskutieren. Akzeptier’ meinen Preis. Du musst dich schnell entscheiden, Doc.«
Der Mann im braunen Anzug nickte. Seinen Kittel hatte er in die eine der beiden Taschen gepackt. »Sie ist wirklich ausgezeichnet. Das Beste, was du je nach England gebracht hast.«
»Ich habe dafür einen Blick.« Igor war stolz auf sich. Das deutete sein breites Lächeln an. »Wann?«
»So schnell...«
»Genauer.«
»Heute noch.«
Der Fänger zuckte zusammen. Er wollte erst den Kopf schütteln, überlegte es sich dann anders und stellte seinen Plan um. »Gut, das lässt sich in die Wege leiten, auch wenn die Rice dumm aus der Wäsche schauen wird. Aber ich kann das regeln. Vorausgesetzt, die Summe stimmt.«
Der Mediziner überlegte nicht lange. »Ich muss telefonieren, Igor.«
»Bitte.«
Der Arzt zückte ein Handy, wählte und hielt den kleinen Apparat dabei so, dass Sartow nicht erkennen konnte, welche Zahlen er leicht antippte.
Das Gespräch dauerte nicht lange. Als der Mann im braunen Anzug die Verbindung unterbrach, da lag auf seinen feuchten Lippen ein Lächeln.
»Klappt es?«, fragte der Fänger lauernd.
»Ich denke schon.«
Das Gelächter aus Igors Rachen blieb fast lautlos. »Wunderbar. Ich kann alles in die Wege leiten.«
»Gib sie mir mit!«
Sartow stutzte. »Bist du von allen guten Geistern verlassen? Das kann ich nicht. Ich kann sie dir nicht mitgeben, auch wenn du wenig Zeit hast.«
»Warum nicht?«
»Das will ich dir sagen. Ich muss gewisse Regeln einhalten,
Weitere Kostenlose Bücher