Der Fänger
verdrehte die Augen. »Hören Sie auf mit ihren Verdächtigungen. Wir haben ein gewisses Niveau, das wir einhalten müssen. Die großen Zeitschriften sind es gewohnt, von uns gute Models zu bekommen. Igor trifft in den Heimatländern bereits die Vorauswahl. Bisher habe ich noch kein Mädchen abgelehnt.«
»Was wissen Sie denn über die Neue?«, fragte ich.
»Ich kenne nur Ihren Namen, Mr. Sinclair. Sie heißt Raissa Chorin, mehr weiß ich nicht.«
»Sie besitzen kein Foto?«
»Schon, aber das besagt nicht viel.« Wanda beugte sich vor. »Sie können fragen, was sie wollen«, flüsterte sie, »aber ich sage Ihnen gleich, dass sie auf dem falschen Dampfer sind. Wir haben mit den schrecklichen Morden nichts zu tun. Sie müssen sich Ihren Täter schon woanders suchen.«
»Wir gehen jeder Spur nach«, erklärte ich erneut. »Es ist nun mal eine Tatsache, dass die Taten in ihrem Umfeld geschehen sind. Deshalb müssen wir hier ermitteln. Und noch etwas: Sie sind nicht zufällig passiert. Die Frauen sind keinem Killer in die Hände gelaufen, der sie umbrachte, weil es ihn danach gelüstete. Dahinter steckt ein System. Kein Mörder entnimmt einfach die Organe.«
»Sehr gut gesagt, Mr. Sinclair. Wenn mich nicht alles täuscht, bedarf es dazu eines Fachmanns.«
»Ich denke schon.«
»Aber Igor Sartow ist kein Fachmann, was diese Dinge angeht«, versicherte Wanda Rice. »Das sollten Sie auch wissen. Er liebt die Frauen, die lebenden, aber nicht die toten.«
»Wir haben verstanden.«
»Sehr gut. Dann sorgen Sie als Polizisten bitte dafür, dass es keine neuen Leichen gibt. Das ist Ihr Job, und dafür werden Sie schließlich bezahlt.«
»Danke für die Belehrung«, entgegnete ich trocken. »Aber wir sind bereits dabei, den Killer zu suchen. Sonst wären wir nicht hier. Aus ihrem Umfeld wurden drei junge Frauen grausam umgebracht. So etwas können wir nicht hinnehmen. Auch wenn es Ihnen nicht gefällt, wir werden uns bestimmt Wiedersehen.«
»Das fürchte ich auch.« Etwas verächtlich verzog sie die Mundwinkel. »Haben Sie sonst noch Fragen?«
»Ja, uns würde interessieren, wo Sie Ihre Schützlinge untergebracht haben. Die Mädchen müssen ja irgendwo wohnen und nicht unter den Themsebrücken hausen.«
»Keine Sorge, Sie sind zufrieden.«
»Wo wohnen Sie?«, beharrte ich.
Ihr Ausatmen glich mehr einem Stöhnen. »Wenn Sie nicht gerade unterwegs sind, in einem Hotel. Ich habe es gemietet. Es gehört einer Frau, mit der ich schon lange zusammenarbeite, sodass ich Sonderkonditionen bekomme. Zufrieden?«
»Fast. Ich hätte gerne Namen und Anschrift.«
Das Hotel hieß Westhouse. Es lag in Kensington in der Nähe des Holland Parks.
»Keine schlechte Umgebung«, urteilte ich.
»Ich weiß, was ich meinen Mädchen schuldig bin.«
»Gut, dann gibt es nur noch das Problem Igor Sartow. Können wir ihn im Savoy finden?«
»Kann sein«, sagte sie. »Hier ist er jedenfalls nicht.«
»Aber Sie werden ihn doch treffen – oder? Schließlich bringt er ein neues Mädchen mit.«
»Wir sind für heute Abend verabredet.«
»Hier?«
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Wir stellen hier die Fragen«, erklärte ich. »Vergessen Sie nicht, dass wir drei Morde aufzuklären haben, und das sollte auch in Ihrem Sinne sein.«
Sie schaute uns an. »Natürlich, Sie haben Recht. Soll ich Sie mit Igor Sartow bekannt machen?«
»Nein, das erledigen wir schon selbst.«
Als hätten wir uns abgesprochen, standen Suko und ich gleichzeitig auf. Wanda Rice ließ uns nicht aus ihrem Blick.
»Und ich denke nicht, dass Sie Ihren Freund Sartow anrufen werden, um ihn vorzuwarnen«, sagte Suko wie nebenbei.
»Warum sollte ich das tun?«
»War nur ein Ratschlag. Und danke für das Wasser.«
Nach dieser Bemerkung gingen wir und waren uns sicher, eine verunsicherte Frau zurückgelassen zu haben.
Wir sprachen erst wieder miteinander, als wir auf dem Weg zu unserem Rover waren.
»Was hältst du von ihr, John?«
»Ich weiß es nicht«, gab ich zu. »Sie könnte mehr wissen und verheimlicht es uns. Aber dazu müsste sie verdammt abgebrüht sein, wenn ich mich daran erinnere, was mit den Mädchen geschehen ist.«
»Das meine ich auch.«
»Also Sartow?«
»Ich denke schon...«
Es war für Raissa Chorin eine andere Welt, und sie konnte noch immer nicht fassen, hier hineingeraten zu sein. Sie, das Mädchen aus der Bleistiftfabrik, aus einer Umgebung, die man nur als trostlos und traurig ansehen konnte.
Aber irgendjemand hatte es geschafft und eine
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