Der Falke des Pharao
es sind Gerüchte in Umlauf, daß Euer Haus von Beduinen, Hethitern und Banditen heimgesucht wurde.«
»Der Hohepriester des Amun muß davon gehört haben, daß Ihr mich berührt habt.«
Die Schultern des Königs sanken in sich zusammen. »Es tut mir leid. Ich weiß, daß ich vorsichtig sein muß, und ich würde Euch nie in Gefahr bringen, aber manchmal – «
»Er hat auch schon früher Gerüchte verbreitet, Majestät.«
Tutenchamun blickte auf den Säulengang, wo die Dunkelheit vom grauen Licht der Morgendämmerung verdrängt wurde. »Er haßt mich immer noch für das, was mein Bruder getan hat. Echnaton hätte niemals versuchen sollen, Amun und die anderen Götter zu zerstören. Der Hohepriester war nicht sehr angetan davon, in Dunkelheit und Hunger zu leben und zusehen zu müssen, wie man seine Priester ermordete.« Der König erhob sich und rieb sich die Oberarme, als fröstelte er, dann blickte er Meren in die Augen. »Er beginnt einzusehen, daß ich mich nicht wie ein blinder Esel führen lasse. Meren, ich bin sicher, daß er die Ermordung meines Vaters veranlaßt hat.«
Als Meren die Verzweiflung in der Stimme des Königs gewahrte, glitt er vom Bett herunter und stellte sich neben ihn. Er versuchte, seine eigenen Schuldgefühle zu ignorieren und legte den Arm um Tutenchamuns Schultern. Der König schrak auf, sah zu ihm hinauf und überließ sich dann der Umarmung. Echnatons Tod hatte Meren für immer des inneren Friedens beraubt, aber dennoch konnte er Tutenchamuns Qualen lindern.
»Hört mir zu«, sagte Meren. »Jeden Tag, jeden Augenblick, in Dunkelheit oder Licht, ruhen meine Augen auf Euch. Der Diener, der Euren Nachttopf leert, der Junge, der Euch den Bogen hält, der Kämmerer, der Eure Gäste ankündigt, die Wachen, die neben Euch stehen, ich kenne sie alle. Wenn ich ihre Loyalität in Frage stellen müßte, wären sie tot.«
Der Kopf des Königs fiel einen Augenblick lang auf seine Schulter. Nach einer Weile straffte sich der Körper des Jungen, und Meren ließ seinen Arm sinken. Der Pyramidenstein der Schuld, der auf seinem Herzen lastete, hob sich. Tutenchamun streckte die Hand aus, und Meren ergriff den Arm des Jungen über dem Handgelenk, ein Krieger, der den anderen anerkennt.
»Mir ist jetzt klargeworden, wie viele Feinde ein Pharao hat«, flüsterte der König. »Es gibt so wenige, denen ich trauen kann. Ich wünschte, mein Bruder wäre nicht gestorben.«
»Majestät.«
Meren konnte nicht verhindern, daß er zusammenzuckte, aber der König hatte ihn weder gesehen noch gehört. Meren sah, daß er sich in alten, traurigen Erinnerungen verloren hatte.
»Majestät.« Diesmal sah der König ihn an. »Seit langer Zeit fühle ich mich, als hätte ich zwei Söhne – Kysen und Euch.«
Unbefangen begegnete er Tutenchamuns suchendem Blick, und schließlich schenkte ihm der König ein aufrichtiges, sorgloses Lächeln. Es verblaßte etwas, als er das aufkommende Tageslicht betrachtete.
»Ich muß gehen«, sagte der König. »Wenn jemand entdeckt, daß ich hier war, schwebt Ihr in noch größerer Gefahr als es ohnehin schon der Fall ist. Aber Ihr müßt bald zu mir kommen, denn ich möchte unbedingt mehr über die Angelegenheit im Tempel des Anubis erfahren. Immerhin ist es meine Aufgabe, die Ordnung im Königreich wiederherzustellen, und ich werde es nicht zulassen, daß irgendein Verbrecher die Harmonie und das Gleichgewicht in Ägypten durch dieses Sakrileg gefährdet.«
Meren nickte ernst und unterdrückte ein Grinsen über den gebieterischen Ton in der Stimme des Königs. So sehr Tutenchamun sich auch nach der Freiheit eines gewöhnlichen Kindes sehnte, verstand er doch so viel von den Regierungsgeschäften, daß er die zahlreichen Schlangen, die sich selbst als sein Gefolge bezeichneten, zu umgehen vermochte. Meren ging dem König voran durch sein Haus und achtete sorgfältig darauf, daß sie keinem Mitglied des Haushaltes, das früher aufgestanden sein mochte, begegneten. An der vorderen Pforte beobachtete er, wie sich Tutenchamun mit Karoya an seiner Seite die Straße in Richtung Palast fortstahl. Der Junge würde mit Leichtigkeit über die Palastmauern klettern können. Meren hatte selber den König ausgebildet und konnte sich wohl kaum beklagen, wenn er diese Fähigkeiten jetzt einsetzte; er konnte nur hoffen, daß der Besuch des Pharao tatsächlich geheim geblieben war.
Er rief seinen Haushofmeister und machte sich schnell bereit, um dem Haus des Hormin einen Besuch abzustatten. Es
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