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Der Falke des Pharao

Der Falke des Pharao

Titel: Der Falke des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynda S. Robinson
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wie eine Träne in Imsetys Augenwinkel sichtbar wurde und seine Nase entlangrollte. Er hörte einen erstickten Ton. Der ungeschlachte Imsety begann zu weinen, er verzog sein Gesicht vor Kummer in Falten und Furchen. Die ganze Zeit über blieb er vor Meren stehen, als ob ihm egal wäre, in wessen Gegenwart er weinte.
    Meren stand vor der Wahl. Er konnte glauben, daß Mutter und Sohn im Gegensatz zu erheblich erfahreneren Betrügern die Fähigkeit besaßen, ihn zu täuschen, oder er konnte glauben, daß sie wirklich nicht gewußt hatten, daß Djaper tot war und wahrhaft trauerten. Als er sah, wie Selket auf dem Boden zusammenbrach, sich die Haare raufte und heulte, während ihr Sohn still vor sich hin weinte, ging ihm der Kontrast zwischen ihren heutigen Reaktionen und denen am Morgen nach Hormins Tod auf. Djaper war von ihnen geliebt worden. Hormin nicht.
    Hatte die Mutter einen Sohn geopfert, um den anderen vor dem Verdacht zu retten? Sollte er glauben, daß Djaper sich das Leben genommen hatte, weil er den Mord an seinem Vater bereute? Vielleicht hatte er Imsety viel stärker in Furcht versetzt, als er bemerkt hatte und ihn so zu einem weiteren Verbrechen verleitet.
    Oder vielleicht hatte Djaper Beltis während ihres Streits erneut mit Verbannung gedroht. Er konnte sich durchaus vorstellen, daß Djaper versuchte, das Testament seines Vaters anzufechten um Beltis für immer aus dem Haus zu werfen. Doch, wenn es sich so zugetragen hatte, glaubte er nicht, daß Beltis das Haus verlassen hatte, ohne Djaper zu schaden. Nicht wenn sie wußte, daß er sowieso nicht mehr lange lebte.
    Der Arzt kam außer Atem und schwitzend an. In seinem Schlepptau hatte er seinen Mitarbeiterstab, den er veranlaßte, das Zimmer des toten Mannes sowie das restliche Haus zu durchsuchen. Meren konnte selbst nichts mehr ausrichten, also kehrte er nach Hause zurück und sandte Kysen eine Botschaft; während er in seinem Arbeitsraum saß und sie niederschrieb, traf ihn die Vorahnung wie ein schmerzhafter Stich.
    Der Junge mußte auf der Hut sein. Er hatte große Angst, daß Kysen nun, da er als sein Diener in die Nekropole gegangen war, sogar in noch größerer Gefahr schwebte als zuvor. Beltis war dort, und die Künstler selbst waren keineswegs vom Verdacht befreit. Zweifellos würde Kysen ihn, bis der Morgen vorüber war, über die Ergebnisse seiner eigenen Nachforschungen unterrichtet haben.
    Wie schwierig würde es für einen Arbeiter aus der Nekropole sein, aus dem Dorf zu entkommen und sich seinen Weg über die Hügel der Wüste und über den Fluß zu Hormins Haus zu bahnen? Solch ein Unterfangen konnte durchaus gelingen, wenn man verzweifelt genug war, das Risiko auf sich zu nehmen. Wenn man gezwungen war, sich zwischenzeitlich häufig zu verbergen und sich in Hauseingängen herumzudrücken, konnte man sein Ziel noch immer in ein oder zwei Stunden erreichen. Der Weg zum Tempel des Anubis konnte ebenfalls innerhalb einer solchen Zeitspanne zurückgelegt werden, vielleicht ging das sogar schneller, als eine nächtliche Reise mit dem Boot zu unternehmen.
    Meren legte seinen Riedstift beiseite und blies die Schreibpaste, mit der er geschrieben hatte trocken. Er faltete den Papyrus zusammen, versiegelte ihn mit Lehm und preßte seinen Siegelring darauf. Er rief einen Boten, vertraute diesem den Brief an, und lehnte sich dann in seinem Stuhl zurück, um seine sorgenvollen Gedanken wieder aufzunehmen.
    Zu viele Menschen hatten sterben müssen. Hormin, Bakwerner, Djaper. Er hatte den Befehl gegeben, Selket und Imsety rund um die Uhr bewachen zu lassen. Es war sehr wahrscheinlich, daß einer von ihnen für die Morde verantwortlich war. Kysen sollte auch Beltis beschatten. Jetzt wünschte er, daß er Kysen nicht in die Nekropole geschickt hätte. Doch so besorgt er auch um Kysen war, er mußte zulassen, daß der Junge seine Arbeit allein verrichtete.
    Meren griff über den Tisch nach dem Einbalsamierungsmesser aus Obsidian, mit dem Hormin getötet worden war. Jemand fürchtete sich weder vor ihm noch vor dem Urteil der Götter. Jemand der so verzweifelt oder so dumm war, war tatsächlich gefährlich. Wenn er das Geheimnis nicht bald lösen konnte, würde er veranlassen, daß alle Verdächtigen zu ihm gebracht und gnadenlos verhört wurden, bis einer von ihnen gestand. Er hatte keine Wahl, denn der Hohepriester des Anubis würde bald nach Rache und Blut schreien. Seine Feinde bei Hof würden anfangen, das Gerücht zu verbreiten, daß er nicht länger

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