Der Falke des Pharao
war wie besessen. Kysen hatte hinter Gebs bescheidenem Auftreten das Inferno künstlerischer Leidenschaft erkannt. Zweifellos hatte Geb von Kindheit an gewußt, welchen Beruf er ergreifen wollte, hatte sich nach dem Leben eines Malers gesehnt. Er war von dem Wunsch nach künstlerischer Betätigung besessen, und nichts, was Kysen sagen konnte, würde ihn von der Verfolgung seines Zieles abbringen. Er ging dem Jungen voran und kehrte zum Hauptraum zurück. Als er das Zimmer betrat, bemerkte er, daß Thesh sich an eine Wand hinter einer Lampe zurückgezogen hatte. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Mitte des Raumes. Kysen warf einen Blick auf Useramun, der dort stand und ihm seinen Rücken zuwandte. Dann drehte er sich um, trat zur Seite und gab den Blick auf eine Frau frei.
Beltis. Es konnte nur die Konkubine sein. Merens Beschreibung war ausgesprochen genau gewesen. Sie hatte lange, muskulöse Beine und einen kleinen Kopf, der durch ihre schwarze Perücke, die aus mit Kupferbändern durchzogenen Haarflechten bestand, beinahe auf Zwergengröße zusammengeschrumpft zu sein schien. Um von ihrem fliehenden Kinn abzulenken, schminkte sie sich die Lippen. Trotz der vorgerückten Stunde, in der die meisten Menschen ihr Abendmahl zu sich nahmen, hatte sie sich gesalbt und äußerst sorgfältig gekleidet. Ihr Körper war geölt, ihre Brustwarzen waren rot bemalt, ihre Augen grün und golden geschminkt.
»Seth, Diener des Falken«, sagte Useramun. »Das ist Beltis, bis vor kurzem die Konkubine des Schreibers Hormin. Komm, Bel, meine Angebetete, und laß dich jemandem vorstellen, der dich lehren wird, nicht so eitel zu sein. Mache die Bekanntschaft eines Menschen, neben dem du wie ein Waschzuber aussehen wirst. Sind wir nicht gesegnet, daß jemand uns von dem Schakal Hormin befreit und uns diesen Schatz zugeführt hat?«
Kysen starrte Useramun an. Beltis warf dem Maler einen Blick zu, der die Haut eines Nilpferdes hätte vertrocknen lassen, dann erinnerte sie sich wieder an ihre Würde. Sie tänzelte auf Kysen zu und preßte die Arme seitlich an ihren Körpers, so daß die Brüste hervorragten. Er nahm ihr schweres Parfüm wahr und rümpfte die Nase, als sie sich vor ihm verneigte.
»Seid gegrüßt, Diener des Falken, des Fürsten Meren. Habt Ihr, wie Euer Herr, Fragen, die Ihr mir stellen wollt?«
»Warum seid Ihr hier? Mein Herr wird nicht erfreut sein, wenn er hört, daß Ihr das Haus des Hormin verlassen habt.«
Angesichts seiner direkten Antwort kniff die Konkubine die Augen zusammen und antwortete: »Ich war es leid, mit Selket und den anderen zu streiten. Djaper haßt mich. Heute morgen drohte er damit, mir mein Erbe fortzunehmen. Er sagte, daß er veranlassen würde, mich aus Hormins Testament zu streichen. Ich bekam Angst, denn ich bin sicher, daß Djaper es war, der seinen Vater getötet hat.«
»Ihr seid, natürlich, unschuldig.«
Beltis kam näher, so daß ihre Brüste beinahe seinen Arm berührten. »An der Ermordung Hormins, ja. An anderen Dingen, nein.«
Ein Schatten fiel auf sie. Kysen trat einen Schritt zurück, aber Useramun versperrte ihm den Weg. Stille breitete sich aus, während er von der Konkubine zu dem Maler blickte. Er spürte, daß sie ihn beobachteten – eine Gazelle, die sich einer Gruppe von Löwen gegenübersieht.
Useramun streckte den Arm aus und schlang ihn um Beltis’ Taille. Ohne die Augen von Kysen abzuwenden, sagte er: »Beltis, meine Geliebte, willst du mit uns zu abend essen? Ich habe dich vermißt, und zweifellos bist du ebenso hungrig wie ich. Der schöne Diener des Falken des Pharao verspürt sicher ebenfalls Hunger.«
Thesh schob sich von der Wand fort, an der er gelehnt hatte und knurrte den Maler an: »Du Narr.«
Kysen hätte beinahe den Kopf geschüttelt, hielt aber noch rechtzeitig inne, bevor er sich dadurch blamieren konnte, daß er sich wie ein verwirrter Jüngling benahm.
»Ich wünsche Euch einen guten Abend«, sagte er, und schritt an dem Paar vorbei zur Tür.
Er hörte ein Seufzen und blickte sich um, als er nach draußen trat. Geb hatte sich Beltis und Useramun angeschlossen. Alle drei betrachteten ihn. Als sein Blick den Useramuns traf, legte der Maler seinen Arm um Gebs Schulter und zog ihn an seine Brust, während er gleichzeitig Beltis an sich drückte. Kysen wandte sich mit unbewegtem Gesicht wieder nach vorn und trat in die Nacht hinaus. Thesh schloß sich ihm an, und sie hörten Useramuns spöttisches Gelächter, das von den bemalten Wänden
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