Der Falke des Pharao
Hand über die kühle, polierte Granitoberfläche gleiten. Seine Finger versenkten sich in den Vertiefungen, die die Umrisse der Figur eines Gottes darstellten. Um den Deckel zu heben, würde man mindestens vier Männer benötigen. Seine Hand fuhr über den gerundeten Deckel, während er um das Behältnis herumging. Er fragte sich, ob die Gegenstände, die Beltis und ihr Begleiter aus der Kammer gestohlen hatten, aus diesem Sarkophag stammten. Während er herumging, rutschte seine Sandale auf dem staubigen Fußboden aus. Er taumelte, blickte hinunter und stellte fest, daß er in weißen Sand am Fuße der Wand hinter dem Sarkophag getreten war.
Steine und Mörtelstücke lagen unter einem Loch in der Wand verstreut. Er hatte gefunden, wonach er suchte. Er erinnerte sich daran, daß Hormin sich vor vielen Tagen entschlossen hatte, sein Grab zu vergrößern, um nur wenige Tage später seine Meinung wieder zu ändern. Jetzt wußte er, warum; das Loch, das groß genug für einen knienden Mann war, hätte in unberührten Fels hineingehauen werden sollen. Statt dessen führte es in eine weitere Höhle.
Kysen griff nach einer der Lampen, kniete vor dem Loch nieder und spähte hinein. Das Licht beschien Metall und erstrahlte hell. Kysen blinzelte und schnappte nach Luft. Er nahm eine Mischung aus abgestandener Luft, Staub und dem schwachen Duft von Holz und Harz in sich auf. Er fuhr zurück, setzte sich auf die Fersen und blickte sich um.
»Osiris steh mir bei.«
Er schauderte, benetzte seine Lippen und faßte sich ein Herz. Er beugte sich nach vorne, um sich auf alle Viere zu stürzten, steckte seinen Kopf wieder in das Loch und streckte die Lampe vor sich her. Der Widerschein von Gold traf ihn – eine Wand aus Gold. Nein, es handelte sich um die Wand eines großen, vergoldeten Schreins von altertümlichem Aussehen, der verwendet wurde, um die Särge von Königen in sich aufzunehmen.
Kysen schluckte und lehnte sich hinaus. Das Loch führte in ein altes Grab. Der Boden der Kammer lag einige Fuß unterhalb und Kysen zog sich nach oben, um vor dem Schrein zum Stehen zu kommen. Um die Kammer herum lagen Stapel von Kästen, die Nahrung und Kleidung enthielten. Er bemerkte einen auseinandergenommenen Lenkwagen. Daneben stand ein Bett, dessen Löwenkopfverzierungen ihm Gesichter schnitten. Er sah Stapel von Waffen – Speere, Lanzen, Bögen, Pfeile. Das Grab eines Mannes. Sein Blick kehrte zu dem Schrein zurück.
Das Siegel des Schreins war erbrochen, und seine Türen standen halb offen. Kysen hielt die Lampe in die Höhe und trat näher. Im Inneren lag der hölzerne Sarkophag, der über und über mit Blattgold verziert war. Verbogener und zerbrochener Abfall lag auf dem Boden. Der Grabdeckel lag schräg darüber und gab den Blick auf ineinander verschachtelte Särge frei, deren Deckel entfernt worden waren.
Kysen zögerte an der Schwelle des Schreins und blickte über den oberen Rand des Sarkophags. Er sog den Atem ein, als sein Blick sich auf die zerrissenen Girlanden und ein geschwärztes Leichentuch heftete. Unter dem zerrissenen Leichentuch erspähte er im Inneren der drei Särge einen Arm. Einen bandagierten Arm, der aus seiner über der Brust gekreuzten Position gerissen worden und mit erstarrter Salbe überzogen war.
Sein Atem ging nun flach und schnell, und als sein Blick das Ende des Armes traf, wich er zurück, denn die Hand war teilweise vom Gelenk abgerissen worden. Er wußte, warum. Bei einer Bestattung mit solchen Reichtümern wurden die kostbarsten und kleinsten Objekte auf den Körper selbst gelegt – Ringe, Armbänder, Halsbänder und Amulette. Kysen schüttelte seinen Kopf, sein Magen drehte sich um beim Anblick des geschändeten Leichnams.
Als er voller Schrecken von dem Schrein zurücktrat, spürte er hinter sich einen Luftzug. Er wandte sich um, aber nicht rechtzeitig genug. Schmerz durchzuckte seinen Schädel. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, im Nebel zu versinken. Er fiel auf die Knie und kämpfte darum, bei Bewußtsein zu bleiben. Sein letzter Blick fiel auf den goldenen Sarkophag, als er ihm zu Füßen niedersank.
Meren stand drohend vor den auf dem Boden seines Arbeitszimmers kauernden Menschen.
»Mögen die Götter Eure Namen verfluchen«, rief er. »Wie weit glaubtet Ihr in einem Boot zu kommen?«
Er hörte Selkets Gebrabbel einen Augenblick lang zu, dann gab er Abu ein Zeichen, die Peitsche zu holen. Meren verlor die Geduld, und Imsety hatte außer der Bitte um Gnade noch keine
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