Der Falke des Pharao
um. Kysen wartete trotzdem, und während er wartete, peitschte stöhnend und winselnd ein Windstoß um den Felsen herum.
Der Klang füllte die Leere der Nacht und ließ Kysen erschauern. Zornige Seelen wanderten in den Wüsten umher – verhungernde Dämonen, die Nachfahren derjenigen, deren Familien es versäumt hatten, sie mit Nahrung für das Leben nach dem Tode zu versorgen. Kysen griff nach dem Dolch an seinem Gürtel, obwohl er wußte, daß er ihm nichts nützen würde, wenn ein Geist ihn angriff.
Am besten konzentrierte er sich auf sein Ziel. Useramun hatte den Fuß eines Hügels umrundet. Kysen torkelte hinter ihm her. Als er sich den Abhang entlangtastete, erwartete er, die undeutlichen Umrisse des Rockes, den der Maler trug zu sehen, aber das war nicht der Fall. Er fluchte und überquerte eilig einen Streifen flaches Land, das in einen Weg mündete. Er erklomm einen weiteren Hügel. Als er die Spitze fast erreicht hatte, ließ Kysen sich auf den Bauch fallen und kroch so weit, daß er über den Hügelkamm sehen konnte, ohne selbst entdeckt werden zu können. Kein Useramun. Nach dem nächsten Hügel erspähte er das tanzende Licht der Fackel, das sich auf einen kleinen Felsen zubewegte.
Wahrscheinlich folgte Useramun ihm immer noch.
Kysen rannte den Hügel hinunter hinter dem Licht her. In der Talsohle stieß er auf kleine Hügel und Wälle aus Schutt und Trümmern. Sie befanden sich am Rande der Ruinen eines Tempels aus vergangenen Jahrhunderten, aus der Zeit des Pharao Sesostris. Er ging jetzt schneller, denn er konnte das Licht im darauffolgenden Tal nicht mehr sehen, auch Useramun war verschwunden. Er verbarg sich hinter einer zerbrochenen Kalksteinmauer, verlangsamte seinen Schritt, wandte sich um und zog seinen Dolch.
Gegen den Fuß der Mauer lehnte etwas Weißes. Kysen steckte seinen Dolch wieder in sein Futteral und kniete neben Useramun nieder. Der Maler lag reglos da, sein Kopf hing zur Seite, seine Beine waren ausgestreckt. Kysen konnte etwas Dunkles, Feuchtes auf seinem Kopf erkennen. Er nahm den kupferartigen, bitteren Geruch von Blut wahr und lehnte sich über Useramun. Am Hinterkopf des Malers war eine klaffende Wunde zu sehen. Daneben lag ein Felsbrocken, der mit noch mehr Blut besudelt war.
Kysen fluchte und bewegte den Körper des Malers, bis er auf dem Rücken lag, dann beugte er sich über ihn, um zu fühlen, ob an seinem Hals immer noch der Schlag des Lebens zu spüren war. Useramun stöhnte und öffnete die Augen. Seine Arme fuhren in die Höhe und er schlug wild auf Kysen ein, der auch den Arm hob, um sich zu schützen.
»Verdammt, seid still.«
»Seth?«
»Könnt Ihr gehen?«
»Ich weiß nicht. Sie haben geglaubt, ich sei tot.«
Kysen stand auf und zog den Maler in die Höhe. Useramun protestierte mit einem Wimmern, blieb aber stehen.
»Hört mir zu«, sagte Kysen, während er den Maler stützte. »Sucht Euch ein Versteck. Ich werde weitergehen, aber ich komme zurück, um Euch zu helfen.«
»Ihr wißt Bescheid? Seid vorsichtig. Sie sind nicht mehr weit gegangen, zu Hormins Grab.«
»Götter, Ihr seid ein Narr, sie allein zu verfolgen.«
»Und Ihr?«
»Haltet den Mund und verbergt Euch, Maler.«
Useramuns Zähne blitzten im Mondlicht. Er zog eine Grimasse, als er sich auf ein V-förmiges, ausgetrocknetes Flußbett zubewegte. Er schwankte und wäre zu Boden gefallen, wenn Kysen ihn nicht aufgefangen hätte. Kysen legte den Arm des Malers über seine Schulter und stützte ihn, während sie sich auf den Unterschlupf zubewegten. Useramun klammerte sich an ihn, und Kysen fluchte erneut.
»Wenn ich nicht über und über mit Eurem Blut bedeckt wäre, würde ich glauben, daß Ihr dies hier veranstaltet habt, um mich dazu zu bringen, Euch zu berühren.«
Useramun lachte, dann keuchte er. Kysen legte ihn auf den Boden, so daß er genau in der Einbuchtung kauerte. Er zerriß den Rock des Malers und preßte ein Stück Leinen auf die Wunde.
»Preßt dies fest auf die Wunde und rührt Euch nicht.«
Er verließ Useramun, der seinen Kopf hielt und darum bat, nicht zurückgelassen zu werden. Er wagte es zu laufen, um wieder aufzuholen, aber er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Er konnte die Fackel immer noch sehen. Sie hatte beinahe den kleinen Felsen erreicht und hatte angehalten zu dem Zeitpunkt, da Kysen hinter einen umgestürzten Felsblock schlüpfte, der ein paar Meter von der kahlen Oberfläche des Kalkgesteins entfernt lag.
In den Felsen war ein Grabeingang
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