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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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im Quadrat, die direkt hinter dem Kopf des Porträts gelegen haben mußte. Neugierig, was eine solche Nische wohl bedeuten oder enthalten mochte, trat der junge Mann näher und schaute hinein; und unter der dicken Staub- und Rußschicht fand er ein paar lose, vergilbte Blätter, ein ungeschlachtes, dickes Notizbuch und ein paar vermodernde Textilfetzen, die vielleicht einmal das Band gewesen waren, das die übrigen Dinge zusammengehalten hatte. Nachdem er den gröbsten Staub weggeblasen hatte, nahm er das Buch heraus und betrachtete die deutliche Aufschrift auf dem Deckel. Diese war in einer Handschrift geschrieben, die er im Essex-Institut kennengelernt hatte, und lautete: »Tagebuch und Notizen des ehrenwerten Jos. Curwen, aus Providence-Plan-tations, weiland Salem.«
    Durch seine Entdeckung aufs äußerste erregt, zeigte Ward das Buch den beiden neugierig neben ihm stehenden Arbeitern. Ihr Zeugnis in bezug auf die Art und die Echtheit des Fundes ist unanfechtbar, und auf sie stützt Dr. Willett vor allem seine Theorie, daß der junge Mann noch nicht wahnsinnig war, als er wahrhaft exzentrisch zu werden begann. Auch alle die anderen Papiere trugen Curwens Handschrift, und eines davon schien wegen seiner Aufschrift besonders unheilverkündend: »An Ihn, welcher danach kommen wird, und wie Er über die Zeit und die Sphären hinaus gelangen kann.« Ein weiteres war in einer Geheimschrift abgefaßt, derselben, so hoffte Ward, wie Hutchinsons Chiffre, die er noch immer nicht entziffert hatte. Ein drittes - und hier frohlockte der Forscher - schien ein Schlüssel zu der Geheimschrift zu sein, während das vierte und fünfte an »Edw.: Hutchinson, Wappenträger« respektive »Jedediah Orne, Edelmann«, »oder deren Erbe oder Erben oder deren Repräsentanten« gerichtet waren. Auf dem sechsten und letzten stand zu lesen: »Joseph Curwen, sein Leben und Reisen von anno 1678 bis anno 1687:
    wohin er gereiset, wo er geweilet, wen er gesehen und was er gelernet.«
    3 Wir sind nun an dem Punkt angelangt, von dem an die Nervenärzte der akademischeren Richtung den Beginn von Charles Wards geistiger Umnachtung datieren. Nach seiner Entdeckung hatte der junge Mann sofort einen Blick auf einige Seiten des Buches und der Manuskripte geworfen und offenbar etwas gesehen, was ihn zutiefst beeindruckt hatte. Ja, die Arbeiter hatten sogar den Eindruck gehabt, daß er, als er ihnen die Titel zeigte, den Text selbst sorgfältig vor ihnen verbarg und daß er unter einer Verwirrung litt, die sich kaum durch die antiquarische und genealogische Bedeutung seines Fundes erklären ließ. Nach Hause zurückgekehrt, wirkte er beinahe verlegen, als er die Neuigkeit verkündete, so als wollte er die anderen von der überragenden Bedeutung seines Fundes überzeugen, ohne das Beweismaterial selbst vorlegen zu müssen. Er zeigte seinen Eltern nicht einmal die Titelseiten, sondern sagte ihnen lediglich, er habe einige Dokumente in Joseph Curwens Handschrift gefunden, »überwiegend in Geheimschrift«, die er sehr sorgfältig würde studieren müssen, um ihre wahre Bedeutung herauszufinden. Es ist unwahrscheinlich, daß er den Arbeitern überhaupt etwas gezeigt hätte, wäre nicht deren unverhohlene Neugierde gewesen. So aber wollte er zweifellos den Eindruck übertriebener Geheimnistuerei vermeiden, denn dadurch hätte er ihre Neugierde nur noch mehr angestachelt.
    Die ganze Nacht saß Charles Ward in seinem Zimmer wach und las in dem neuentdeckten Buch und den Manuskripten, und auch als der Tag anbrach ließ er noch nicht ab. Nachdem seine Mutter hinaufgegangen war, um zu sehen, ob etwas nicht in Ordnung war, wurden ihm seine Mahlzeiten auf seine dringende Bitte hin aufs Zimmer gebracht; und am Nachmittag tauchte er nur kurz auf, als die Arbeiter kamen, um das Porträt von Curwen und den Kaminsims zu installieren. In der folgenden Nacht schlief er ab und zu kurze Zeit in den Kleidern und arbeitete zwischendurch fieberhaft an der Entschlüsselung des chiffrierten Manuskriptes.Am Morgen sah seine Mutter, daß er über der Photokopie der Geheimschrift Hutchinsons saß, die er ihr vorher schon oft gezeigt hatte, aber auf ihre Frage gab er zur Antwort, der Schlüssel von Curwen ließe sich darauf nicht anwenden. An diesem Nachmittag ließ er seine Arbeit liegen, um fasziniert den Arbeitern zuzuschauen, wie sie das Porträt mit den dazugehörigen Paneelen endgültig über einem täuschend echten elektrischen Kaminfeuer anbrachten; Kaminsims und Täfelung

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