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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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wurden so installiert, daß sie ein wenig über die Nordwand erhaben waren und der Eindruck entstand, daß wirklich ein Kamin vorhanden sei, und die Seiten wurden mit Paneelen aus demselben Holz wie die Täfelung des Zimmers verkleidet. Das vordere Paneel, auf dem das Bild sich befand, wurde herausgesägt und mit Scharnieren versehen, so daß dahinter Schrankraum geschaffen wurde. Als die Arbeiter gegangen waren, holte er die Sachen ins Arbeitszimmer, setzte sich davor, und schaute abwechselnd auf die Geheimschrift und auf das Porträt, das ihn anstarrte wie ein altmachender, Jahrhunderte überbrückender Spiegel. Seine Eltern wußten, wenn sie an sein damaliges Verhalten zurückdachten, interessante Einzelheiten über seine Vorsichtsmaßnahmen zu berichten. Vor den Dienstboten verbarg er kaum jemals eines der Schriftstücke, an denen er gerade arbeiten mochte, weil er mit Recht annahm, daß Curwens verschnörkelte, altmodische Handschrift für sie unleserlich sei. Bei seinen Eltern jedoch ließ er größere Umsicht walten. Wenn das in Frage stehende Manuskript nicht gerade in Geheimschrift abgefaßt war oder eine bloße Anhäufung kryptischer Symbole und unbekannter Ideogramme darstellte (was bei jenem mit dem Titel »An Ihn, welcher danach kommen wird« usw. der Fall zu sein schien), pflegte er es mit irgendeinem belanglosen Blatt Papier zuzudecken, bis sein Besucher gegangen war. Nachts hielt er die Papiere in einem antiken Schränkchen unter Verschluß, wo er sie auch stets deponierte, wenn er tagsüber das Zimmer verließ. Er nahm bald wieder seinen gewohnten Lebensrhythmus auf, außer daß seine langen Spaziergänge und anderen Unternehmungen außer Haus aufzuhören schienen. Der Beginn der Schulzeit und damit seines letzten Schuljahres schien ihm außerordentlich ungelegen zu kommen, und er bekräftigte wiederholt, er sei entschlossen, sich nie mit dem Besuch des Colleges abzugeben. Er müsse, so behauptete er, spezielle Nachforschungen anstellen, die ihm mehr Wege zur Weisheit und den humanistischen Wissenschaften ebnen würden als die beste Universität, deren die Welt sich rühmen könne. Natürlich konnte nur einer, der immer mehr oder weniger gelehrtenhaft, exzentrisch und einzelgängerisch gewesen war, sich tagelang so merkwürdig verhalten, ohne Aufsehen zu erregen. Ward aber war von der Veranlagung her ein Gelehrter und Einsiedler; seine Eltern waren deshalb weniger überrascht als betrübt über seine selbst auferlegte Abgeschiedenheit und seine Geheimnistuerei. Gleichzeitig empfanden es sowohl sein Vater als auch seine Mutter als merkwürdig, daß er ihnen auch nicht das kleinste Stückchen von seinem Schatz zeigte und auch keinen zusammenhängenden Bericht über die Einzelheiten abgab, die er entziffert hatte. Diese Zurückhaltung versuchte er damit zu erklären, daß er warten wolle, bis er eine zusammenhängende Enthüllung vorweisen könne, doch als die Wochen ohne weitere Erklärungen vergingen, begann sich zwischen dem jungen Mann und seinen Eltern ein gespanntes Verhältnis zu entwickeln, das im Falle seiner Mutter noch dadurch verschärft wurde, daß sie die ganzen Nachforschungen über Curwen unverhohlen mißbilligte. Im Oktober begann Ward wieder die Bibliotheken aufzusuchen, aber nicht um derselben Dinge willen wie früher. Hexerei und Magie, Okkultismus und Dämonologie waren die Gebiete, um die es ihm jetzt zu tun war; und wenn die Quellen in Providence sich als unergiebig erwiesen, setzte er sich in den Zug nach Boston und bediente sich der reichen Bestände der großen Bibliothek am Copley Square, der Widener-Bibliothek in Harvard oder der Zion-Forschungsbibliothek in Brookline, die manches seltene Werk über biblische Themen besitzt. Er kaufte in großem Umfang Bücher und stellte in seinem Arbeitszimmer ein ganzes neues Regal für die neuerworbenen Bücher über unheimliche Themen auf; während der Weihnachtsferien aber unternahm er mehrere Reisen in umliegende Städte, unter anderen auch nach Salem, um bestimmte Unterlagen im Essex-Institut zu konsultieren.
    Gegen Mitte Januar 1920 war dann Wards Verhalten plötzlich durch ein Triumphgefühl gekennzeichnet, das er nicht erklärte, und man sah ihn nicht mehr an der Entzifferung von Hutchinsons Geheimschrift arbeiten. Statt dessen verteilte er seine Zeit jetzt gleichmäßig auf chemische Experimente und das Stöbern in alten Archiven; für die ersteren richtete er in dem leerstehenden Dachgeschoß des Elternhauses ein Laboratorium

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