Der Fall Charles Dexter Ward
beschloß, sich das Haus sofort nach seiner Rückkehr näher anzusehen. Die mystischeren Passagen des Briefes, die er für eine extravagante Art von Symbolismus hielt, setzten ihn in blankes Erstaunen; doch er vermerkte mit neugieriger Erregung, daß es sich bei denrf erwähnten Bibelzitat - Hiob 14,14 - um den bekannten Vers »Wird ein toter Mensch wieder leben? Alle Tage meines Streites wollte ich harren, bis daß meine Veränderung komme!« handelte.
Der junge Ward kam in freudiger Erregung nach Hause und brachte den folgenden Samstag damit zu, das Haus in Olney Court lange und gründlich zu durchsuchen. Das Gebäude, jetzt vom Alter gezeichnet, war nie eine Villa gewesen; es war vielmehr ein bescheidenes, zweieinhalbstöckiges Holzhaus im vertrauten Kolonialstil von Providence, mit einem einfachen, spitzgiebligen Dach, einem großen Kamin in der Mitte und einem kunstvollen Portal mit einer strahlenförmigen Lünette, einem dreieckigen Giebelfeld und schmucken dorischen Säulen. Äußerlich hatte es kaum gelitten, und Ward spürte, daß er etwas vor sich hatte, was den finstren Objekten seiner Nachforschungen sehr nahestand.
Die derzeitigen Bewohner kannten ihn, und der alte Asa und seine stämmige Frau Hannah geleiteten ihn höflich ins Hausinnere. Hier hatte sich mehr verändert, als von außen zu sehen war, und Ward sah mit Bedauern, daß die geschmackvolle, eine Urne und eine Schriftrolle darstellende Stuckverzierung über dem Kaminsims und das Schnitzwerk an den Schränken mehr als zur Hälfte verschwunden waren, während ein großer Teil der schönen Wandtäfelung und des Leistenwerks zerschrammt, durchlöchert, abgerissen oder mit billigen Tapeten überklebt war. Alles in allem erbrachte die Untersuchung nicht so viel, wie Ward sich versprochen hatte; doch war es immerhin aufregend, innerhalb der uralten Mauern zu stehen, die einmal einen solch schrecklichen Mann wie Joseph Curwen beherbergt hatten. Mit leisem Schaudern sah er, daß von dem alten messingnen Türklopfer sorgsam ein Monogramm entfernt worden war.
Von da an bis nach Beendigung seiner Schulzeit befaßte sich Ward mit der Photokopie von Hutchinsons Geheimschrift und der Sammlung weiterer Fakten über Curwen. Das Manuskript widerstand noch immer seinen Bemühungen, doch Fakten über Curwen entdeckte er so viele, daß die darin enthaltenen Hinweise auf weiteres Material an anderen Orten ihn veranlaßten, eine Reise nach New London und New York zu machen, um die alten Briefe zu studieren, die sich an diesen Orten befinden sollten. Diese Reise war sehr ertragreich, denn sie verschaffte ihm die Fenner-Briefe mit der furchtbaren Beschreibung des Überfalls auf den Bauernhof an der Pawtuxet Road sowie die Nightingale-Talbot-Briefe, aus denen er von dem Porträt erfuhr, das auf eine Wandtäfelung in Curwens Bibliothek gemalt worden war. Die Sache mit diesem Porträt interessierte ihn ganz besonders, denn er würde viel darum gegeben haben, zu erfahren, wie Joseph Curwen ausgesehen hatte; und er beschloß, in dem Haus in Olney Court nochmals Nachforschungen anzustellen, um herauszufinden, ob nicht vielleicht eine Spur des alten Gemäldes unter abblätternden Schichten später aufgetragener Farbe oder muffigen Tapeten zu entdecken sein würde.
Diese zweite Durchsuchung fand Anfang August statt, und Ward klopfte sorgfältig die Wände in jedem Raum ab, der groß genug war, um auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit dem unseligen Erbauer einmal als Bibliothek gedient zu haben. Besondere Aufmerksamkeit widmete er den großen Paneelen derjenigen Verzierungen über den Kaminsimsen, die noch erhalten waren; und äußerste Erregung bemächtigte sich seiner, als er nach ungefähr einer Stunde auf einem großen Wandstück über der Feuerstelle in einem geräumigen Zimmer im Erdgeschoß nach dem Abkratzen mehrerer Farbschichten auf eine Oberfläche stieß, die ohne Zweifel merklich dunkler war als jeder normale Innenanstrich oder das Holz, unter dem sich dieser wahrscheinlich einmal befunden hatte. Nach ein paar weiteren vorsichtigen Proben mit einem Messerchen hatte er die Gewißheit, daß er auf ein ausgedehntes Ölgemälde gestoßen war. Mit der Zurückhaltung eines wahren Gelehrten wagte er nicht, den Schaden zu riskieren, den der Versuch, das verborgene Bild auf der Stelle mit dem Messer freizulegen, hätte anrichten können, sondern zog sich vom Schauplatz seiner Entdeckung zurück, um sich der Mithilfe eines Experten zu versichern. Drei Tage später kam
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