Der Fall Charles Dexter Ward
gespannten Unterredung erfüllt, die zu leise war, als daß man etwas verstehen konnte, aber doch von einer Art, die einen in tiefster Seele beunruhigen konnte.
Nun war es natürlich nichts Neues, daß Charles irgendwelche Formeln murmelte; doch dieses Gemurmel war entschieden anders geartet. Es war so eindeutig ein Dialog oder doch die Imitation eines Gespräches mit Frage und Antwort, Rede und Gegenrede. Eine Stimme war eindeutig die von Charles, doch die andere war von einer Tiefe und Hohlheit, wie der junge Mann sie bei seinen erfolgreichsten zeremoniellen Imitationsversuchen kaum jemals erreicht hatte. Sie hatte etwas Grauenerregendes, Blasphemisches, Abnormes, und hätte ihn nicht ein Ausruf seiner zu sich kommenden Frau aufgestört und seine schützenden Instinkte wachgerufen, so hätte sich Theodore Howland Ward wohl kaum noch fast ein weiteres Jahr rühmen können, in seinem ganzen Leben noch nie in Ohnmacht gefallen zu sein. So aber nahm er seine Frau auf die Arme und trug sie eilends die Treppe hinunter, bevor auch sie die Geräusche hörte, die ihn so aus der Fassung gebracht hatten. Dennoch war er nicht schnell genug, um nicht noch selbst etwas zu hören, was ihn gefährlich mit seiner Last stolpern ließ. Denn Mrs. Wards Ausruf war offensichtlich außer von ihm auch noch von anderen gehört worden, und als Antwort darauf waren aus dem Raum hinter der verschlossenen Tür die ersten vernehmlichen Worte dieses schrecklichen Gespräches nach draußen gedrungen. Es war nichts als eine aufgeregte Warnung in Charles' eigener Stimme, doch die Folgerungen daraus versetzten den Vater, der sie vernahm, in namenlosen Schrecken. Was er gehört hatte, war nicht mehr als dies: »Pssst! Schreibt!« Mr. und Mrs. Ward hatten nach dem Dinner eine längere Unterredung, und Mr. Ward beschloß, Charles ernstlich und unnachsichtig ins Gebet zu nehmen. Wie wichtig die Angelegenheit auch sein mochte, ein solches Gebaren konnte nicht länger geduldet werden; denn diese neuesten Entwicklungen überschritten jede Grenze der Vernunft und stellten eine Bedrohung für die Ordnung im Haus und den Seelenfrieden seiner Bewohner dar. Der junge Mann mußte wirklich den Verstand verloren haben, denn nur schierer Wahnsinn konnte zu den wilden Schreien und imaginären Gesprächen mit verstellter Stimme geführt haben, die dieser Tag gebracht hatte. All das mußte jetzt aufhören, sonst würde Mrs. Ward noch vollends krank und die Beschäftigung von Hausangestellten unmöglich werden. Mr. Ward erhob sich vom Tisch und machte sich auf den Weg nach oben in Charles' Laboratorium. Doch im dritten Stock hielt er inne, als er die Geräusche vernahm, die jetzt aus der unbenutzten Bibliothek seines Sohnes kamen. Offenbar warf jemand mit Büchern herum und raschelte mit Papieren, und als er an die Tür trat, erblickte Mr. Ward den jungen Mann, wie er sich in höchster Aufregung einen ganzen Stapel verschiedenster Bücher und Schriften auf den Arm lud. Charles sah sehr mitgenommen und verstört aus und ließ mit einem unterdrückten Aufschrei seine ganze Last fallen, als er die Stimme seines Vaters hörte. Auf dessen Weisung hin setzte er sich und hörte sich eine Zeitlang die Ermahnungen an, die er schon längst verdient hatte. Es kam zu keinem Streit. Als die Strafpredigt beendet war, räumte er ein, daß sein Vater recht habe und daß seine Stimme, sein Gemurmel, seine Beschwörungen und chemischen Gerüche in der Tat eine unentschuldbare Belästigung darstellten. Er erklärte sich bereit, sich fortan ruhiger zu verhalten, bestand aber darauf, auch in Zukunft völlig ungestört weiterarbeiten zu können. Ein Großteil seiner zukünftigen Arbeit, so sagte er, würde ohnehin aus rein theoretischer Forschung bestehen, und für alle rituellen Gesänge, die zu einem späteren Zeitpunkt notwendig werden mochten, könne er sich ohne weiteres andere Räumlichkeiten beschaffen. Über die Angst und die Ohnmacht seiner Mutter zeigte er sich zutiefst zerknirscht, und er erklärte, daß die Unterredung, die anschließend zu hören gewesen sei, Teil eines komplizierten Symbolismus gewesen sei, der eine bestimmte geistig-seelische Atmosphäre habe schaffen sollen. Die abstrusen' chemischen Fachausdrücke, die er gebrauchte, verwirrten Mr. Ward ein bißchen, doch der entscheidende Eindruck war, daß Charles völlig normal und Herr seiner selbst sei, trotz einer mysteriösen, im höchsten Grade besorgniserregenden Spannung. Die Unterredung verlief im Grunde
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