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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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stammten.
    Hart neigt zu der Auffassung, daß ein Zusammenhang zwischen dieser Grabschändung und dem Vorfall im März besteht; damals hatte er eine Gruppe von Unbekannten mit einem Lastwagen verscheucht, nachdem die Männer ein tiefes Loch gegraben hatten. Sergeant Riley vom Zweiten Revier dagegen hält diese Theorie für unzutreffend und verweist auf grundlegende Unterschiede in den beiden Fällen. Im März war an einer Stelle gegraben worden, wo sich kein Grab befand; diesmal wurde dagegen ein deutlich erkennbares und gepflegtes Grab offenbar mit voller Absicht geplündert. Wie rücksichtslos die Plünderer vorgegangen seien, könne man auch daran ermessen, daß der Grabstein zerstört wurde, der bis zum Tag zuvor noch völlig intakt gewesen sei.
    Mitglieder der Familie Weeden äußerten ihr Erstaunen und ihre Trauer, als ihnen die Nachricht von der Plünderung überbracht wurde; sie sahen sich völlig außerstande, Angaben darüber zu machen, wer einen Grund gehabt haben könnte, das Grab ihres Vorfahren zu schänden. Hazard Weeden aus der Angell Street Nr. 598 erinnert sich an eine Familienlegende, nach der Ezra Weeden kurz vor dem Freiheitskrieg eine - für ihn jedoch nicht ehrenrührige - Rolle bei irgendwelchen Vorkommnissen gespielt haben soll; von einer Fehde oder einem Geheimnis aus jüngerer Zeit weiß er jedoch nichts. Inspektor Cunningham wurde mit der Klärung des Falls beauftragt und hofft, schon bald einige wichtige Anhaltspunkte zu entdecken.
    Nächtliches Hundegebell in Pawtuxet Die Einwohner von Pawtuxet wurden heute nacht gegen drei Uhr durch außergewöhnlich lautes Hundegebell aus dem Schlaf geschreckt, dessen Zentrum am Fluß unmittelbar nördlich von Rhodes-on-the-Pawtuxet zu liegen schien. Nach Aussage der meisten Ohrenzeugen war das Geheul der Hunde nach Art und Lautstärke höchst merkwürdig. Fred Lemdin, Nachtwächter in Rhodes, berichtet, er habe gleichzeitig Geräusche vernommen, die sich ganz wie gräßliche Angst- oder Todesschreie eines Menschen angehört hätten. Ein heftiges und sehr kurzes Gewitter, das anscheinend in der Nähe des Flußufers niederging, setzte der Ruhestörung ein Ende. Der Vorfall wird allgemein mit sonderbaren und unangenehmen Gerüchen in Verbindung gebracht, die wahrscheinlich durch die Öltanks entlang der Bucht verursacht werden und zur Beunruhigung der Hunde beigetragen haben könnten.
    Charles' Aussehen wurde jetzt immer abgezehrter und gehetzter, und rückblickend stimmen fast alle darin überein, daß er damals vielleicht den Wunsch hatte, eine Erklärung abzugeben oder ein Geständnis zu machen, wovon ihn nur blankes Entsetzen abgehalten habe. Seine Mutter fand auf ihrem makabren nächtlichen Horchposten heraus, daß er oft im Schutz der Dunkelheit das Haus verließ, und die orthodoxeren Nervenspezialisten schreiben ihm heute einhellig die widerwärtigen Fälle von Vampirismus zu, über die damals die Zeitungen in Sensationsmeldungen berichteten, für die aber bis heute noch kein Schuldiger gefunden wurde. Diese Fälle, die erst so kurz zurückliegen und so viel Aufsehen erregten, daß es sich erübrigt, sie im einzelnen zu schildern, betrafen Opfer jedes Alters und jeder Herkunft und schienen in zwei Gegenden gehäuft aufzutreten — in dem Wohngebiet auf dem Hügel und im Norden, also in der Nähe des Hauses der Wards, und in den Vorstadtvierteln bei Pawtuxet. Sowohl Leute, die spät in der Nacht noch unterwegs waren, als auch solche, die bei offenem Fenster schliefen, wurden angefallen, und diejenigen von ihnen, die überlebten, berichteten übereinstimmend von einem mageren, geschmeidigen, springenden Ungeheuer mit brennenden Augen, das seine Zähne in den Hals oder den Oberarm schlug und gierig zu saugen begann.
    Dr. Willett, der sich weigert, den Beginn von Charles Wards geistiger Umnachtung auf einen so frühen Zeitpunkt zu legen, ist nicht so schnell mit einer Erklärung für diese grausigen Vorfälle bei der Hand. Er habe, so behauptet er, seine eigenen Theorien, und schränkt seine positiven Erklärungen durch eine eigentümliche Negation ein. »Ich habe nicht die Absicht«, sagt er, »mich darüber zu äußern, wer oder was meiner Meinung nach diese Überfälle und Morde beging, aber ich erkläre, daß Charles Ward unschuldig war. Ich habe Grund zu der sicheren Annahme, daß er den Geschmack von Blut nicht kannte, was ja auch durch seine fortschreitende Anämie und Blässe deutlicher als' durch alle Worte belegt wird. Ward hatte sich auf

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