Der Fall Charles Dexter Ward
ziemlich ergebnislos, und als Charles seine Bücher und Schriften aufsammelte und das Zimmer verließ, wußte Mr. Ward kaum, was er von der ganzen Angelegenheit halten sollte. Sie war genauso mysteriös wie der Tod des armen alten Nig, dessen steifer Kadaver mit aufgerissenen Augen und angstverzerrtem Maul eine Stunde zuvor im Keller gefunden worden war.
Einem vagen detektivischen Instinkt folgend, musterte der Vater jetzt neugierig die leeren Bücherborde, um festzustellen, was sein Sohn in die Dachkammer mitgenommen hatte. Die Bibliothek des jungen Mannes war streng und übersichtlich geordnet, so daß man auf einen Blick sagen konnte, welche Bücher oder zumindest welche Arten von Büchern entnommen worden waren. Zu seinem größten Erstaunen bemerkte Mr. Ward, daß keines der Bücher über Okkultismus und Altertumsforschung, abgesehen von denen, die schon vorher entfernt worden waren, fehlte. Die neu entnommenen Bücher betrafen ausnahmslos moderne Wissengebiete; historische Werke, wissenschaftliche Abhandlungen, Geographiebücher, Literatur-Handbücher, philosophische Werke und einige zeitgenössische Zeitungen und Zeitschriften. Das war eine höchst merkwürdige Veränderung gegenüber Charles' Lektüre in der letzten Zeit, und der Vater hielt plötzlich inne, weil ein immer stärker werdendes Gefühl würgender Unruhe und Befremdung ihn beschlich. Dieses Gefühl wurde immer bedrückender und nahm ihm fast den Atem, während er sich verzweifelt bemühte, die Ursache seiner Unruhe ausfindig zu machen. Irgend etwas stimmte nicht, dessen war er sicher, und zwar in materieller ebenso wie in spiritueller Hinsicht. Seit er diesen Raum betreten hatte, hatte er gespürt, daß irgend etwas nicht stimmte, und schließlich dämmerte ihm, was es war.
An der Nordwand erhob sich noch immer über dem Kamin die geschnitzte Täfelung aus dem Haus in Olney Court, doch das brüchige, in mühsamer Arbeit restaurierte Ölportät war vom Schicksal ereilt worden. Die Zeit und die ungleichmäßige Heizung hatten zu guter Letzt ihre Wirkung getan, und irgendwann nach dem letzten Saubermachen in dem Zimmer mußte es passiert sein. Von der Holzunterlage sich abschälend, enger und enger sich zusammenrollend und schließlich - und offenbar mit bösartig lautloser Plötzlichkeit - in kleine Stückchen zerbrökkelnd, hatte das Porträt des Joseph Curwen für immer seinen Posten als unverwandt blickender Beobachter des jungen Mannes, dem es auf so merkwürdige Weise glich, aufgegeben und lag jetzt verstreut auf dem Boden als eine dünne Schicht feinen, blaugrauen Staubes.
IV Eine Mutation und ein Fall von Wahnsinn In der Woche, die jenem denkwürdigen Karfreitag folgte, sah man Charles Ward öfter als sonst; er trug unablässig Bücher zwischen seiner Bibliothek und dem Labor im Dachgeschoß hin und her. Seine Bewegungen waren gemessen und vernünftig, doch er wirkte gehetzt und verstohlen, was seiner Mutter gar nicht gefiel, und er legte - nach seinen Anforderungen an die Köchin zu urteilen — einen wahren Heißhunger an den Tag.
Dr. Willett war über die Geräusche und Ereignisse jenes Freitags unterrichtet worden und führte am folgenden Dienstag in der Bibliothek, wo das Bild nicht mehr von der Wand herabstarrte, ein längeres Gespräch mit dem jungen Mann. Es verlief wie immer ergebnislos; doch Willett ist noch immer bereit zu beschwören, daß der junge Mann zu diesem Zeitpunkt noch normal und Herr seiner selbst gewesen sei. Charles stellte baldige Enthüllungen in Aussicht und sprach davon, daß er sich anderswo ein Labor würde einrichten müssen. Über den Verlust des Bildes war er in Anbetracht seiner anfänglichen Begeisterung recht wenig betrübt und schien im Gegenteil dem plötzlichen Zerfall des Gemäldes sogar eine heitere Seite abzugewinnen.
Von der zweiten Woche an war Charles Ward wiederholt längere Zeit nicht zu Hause, und eines Tages, als die gute alte Han-nah kam, um beim Frühjahrsputz zu helfen, erwähnte sie seine häufigen Besuche in dem alten Haus in Olney Court, wo er immer mit einem großen Koffer auftauche und im Keller herumstöbere. Er sei immer sehr großzügig zu ihr und dem alten Asa, scheine aber unruhiger als sonst, worüber sie sehr betrübt sei, denn sie kenne ihn ja von seiner Geburt an.
Ein weiterer Bericht über seine Unternehmungen kam aus Pawtuxet, wo ihn Freunde der Familie erstaunlich oft aus der Ferne gesehen hatten. Er schien sich häufig im Strandbad und am Bootshaus von
Weitere Kostenlose Bücher