Der Fall Charles Dexter Ward
Wahnsinn des jungen Mannes lag zweifellos in dem, was er über den alten Hexenmeister und seine Umtriebe erfahren hatte.
4 Aber trotz alledem waren es nicht die Bemühungen von Mr. Ward und Dr. Willett, die den nächsten Stein ins Rollen brachten. Der Vater und der Arzt hatten, verwirrt und genarrt von einem Schatten, der zu formlos und ungreifbar war, als daß man gegen ihn kämpfen konnte, notgedrungen eine Pause eingelegt, während die maschinengeschriebenen Mitteilungen des jungen Ward an seine Eltern immer seltener wurden. Dann kam der Monatserste mit den üblichen finanziellen Abrechnungen, und die Angestellten einiger Banken begannen, ratlos die Köpfe zu schütteln und sich gegenseitig anzurufen. Beamte, die Charles Ward vom Sehen kannten, suchten ihn in seinem Bungalow auf und fragten ihn, warum alle seine Schecks aus den letzten Wochen plumpe Fälschungen seien, und sie gaben sich nur widerstrebend mit den heiseren Erklärungen des jungen Mannes zufrieden, seine Hand sei vor einiger Zeit durch einen Nervenschock derart in Mitleidenschaft gezogen worden, daß er nicht mehr normal schreiben könne. Nur unter größten Schwierigkeiten, so behauptete er, könne er überhaupt halbwegs erkennbare Buchstaben schreiben; als Beweis führte er an, daß er in letzter Zeit gezwungen sei, all seine Briefe mit der Maschine zu schreiben, selbst die an seinen Vater und seine Mutter, die das bestätigen könnten.
Aber nicht allein deswegen waren die Beamten fassungslos, denn dabei handelte es sich nicht um einen allzu ungewöhnlichen oder von vornherein verdächtigen Umstand; und auch nicht wegen der in Pawtuxet umlaufenden Gerüchte, die einem oder zweien von ihnen zu Ohren gekommen waren. Es waren vielmehr die verworrenen Äußerungen des jungen Mannes, die sie so verblüfften, denn diesen war zu entnehmen, daß er sich praktisch überhaupt nicht mehr an seine wichtigen Geldgeschäfte erinnern konnte, deren Einzelheiten er noch vor einem oder zwei Monaten jederzeit parat gehabt hatte. Irgend etwas war nicht in Ordnung, denn trotz all seiner scheinbar zusammenhängenden und rationalen Äußerungen war für diese nur notdürftig bemäntelten Gedächtnislücken in wichtigen Angelegenheiten keine normale Erklärung denkbar. Überdies blieb den Männern, obzwar keiner von ihnen Ward besonders gut kannte, die Veränderung seiner Sprache und seines Verhaltens nicht verborgen. Sie hatten gehört, daß er Altertumsforscher war, aber selbst die hoffnungslosesten unter diesen Wissenschaftlern bedienten sich keiner urgroßväterlichen Ausdrucksweisen und Gesten. All diese Symptome zusammengenommen - die Heiserkeit, die gelähmten Hände, das schlechte Gedächtnis, die Änderungen in Sprache und Gestik - deuteten auf eine wirklich ernste Störung oder Krankheit hin, die zweifellos Anlaß zu den sonderbaren Gerüchten der letzten Zeit gegeben hatte; und nachdem sie gegangen waren, kamen die Bankbeamten zu dem Schluß, daß man die Angelegenheit unbedingt mit dem alten Ward besprechen müsse. So fand denn am sechsten März 1928 in Mr. Wards Büro eine lange und ernste Konferenz statt, an deren Ende der bestürzte Vater in einer Art hilfloser Resignation Dr. Willett kommen ließ. Willett besah sich die unbeholfenen und krakeligen Unterschriftenauf den Schecks und verglich sie im Geiste mit der Schrift jenes letzten, verzweifelten Briefes. Gewiß, die Veränderung war tiefgreifend, und doch kam ihm die neue Handschrift unheimlich bekannt vor. Sie wies altertümliche Schnörkelelemente auf, die überhaupt nicht zu dem Schriftzug des jungen Ward paßten. Es war merkwürdig- aber wo hatte er diese Schrift schon einmal gesehen? Alles in allem bestand kein Zweifel, daß Charles geistesgestört war. Und da es unwahrscheinlich schien, daß er noch lange in der Lage sein würde, seinen Besitz zu verwalten oder mit anderen Menschen zu verkehren, mußte schnell etwas unternommen werden, um ihn unter Aufsicht zu stellen und womöglich zu heilen. An diesem Punkt wurden die Nervenärzte hinzugezogen - die Doktoren Peck und Waite aus Providence und Dr. Lyman aus Boston -, denen Mr. Ward und Dr. Willett den Fall so ausführlich wie möglich darlegten und die lange in der nunmehr unbenutzten Bibliothek ihres jungen Patienten konferierten und sich anhand der übriggebliebenen Bücher und Schriften zusätzlich ein Bild von seinen geistigen Neigungen zu machen versuchten. Nachdem sie dieses Material durchgesehen und Charles' Brief an Willett geprüft
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