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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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Monstrosität ihre Grenze! War »Simon O.« der alte Mann, den Ward vier Jahre zuvor in Prag besucht hatte? Vielleicht, aber in vergangenen Jahrhunderten hatte es schon einmal einen Simon 0. gegeben - Simon Orne, alias Jedediah, der 1771 aus Salem verschwand und dessen charakteristische Handschrift Willett jetzt unzweifelhaft wiedererkannte, als er sich an die Photokopien der
    Orneschen Formeln erinnerte, die Charles Ward ihm einmal gezeigt hatte. Was für Schreckbilder und Mysterien, was für Widersprüche und Launen der Natur waren nach anderthalb Jahrhunderten wiedergekommen, um das alte Providence mit seinen dichtgedrängten Türmchen und Kuppeln abermals heimzusuchen?
    Der Vater und der alte Arzt, die beim besten Willen nicht wußten, was sie von alledem halten sollten, besuchten Charles in der Anstalt und befragten ihn so vorsichtig wie möglich über Dr. Allen, seinen Besuch in Prag und das, was er über Simon oder Jedediah Orne aus Salem in Erfahrung gebracht habe. Auf alle diese Fragen antwortete der junge Mann höflich, aber unverbindlich; er stieß lediglich mit seiner heiseren Flüsterstimme hervor, er habe herausgefunden, daß Dr. Allen in einer bemerkenswerten geistigen Beziehung zu bestimmten Seelen aus der Vergangenheit stünde und daß jeder Briefpartner, den der bärtige Mann in Prag haben mochte, wahrscheinlich über ähnliche Fähigkeiten verfüge. Als sie wieder gingen, wurde Mr. Ward und Dr. Willett zu ihrem Kummer klar, daß in Wirklichkeit sie beide die Ausgefragten waren und der junge Mann ihnen, ohne selbst irgend etwas Wichtiges zu verraten, praktisch den ganzen Inhalt des Briefes aus Prag entlockt hatte.
    Die Doktoren Peck, Waite und Lyman waren nicht geneigt, der sonderbaren Korrespondenz von Charles' Kollegen große Bedeutung beizumessen, denn sie kannten die Vorliebe seelenverwandter Exzentriker und Monomanen, sich zusammenzutun, und vertraten die Ansicht, daß Charles oder Allen lediglich einen expatriierten Gesinnungsgenossen ausfindig gemacht hatte - vielleicht einen, der Ornes Handschrift einmal gesehen und seine Handschrift kopiert hatte, um sich als Reinkarnation jener Gestalt aus der Vergangenheit aufzuspielen. Allen selbst war vielleicht ein ähnlicher Fall und hatte womöglich den jungen Mann dazu überredet, ihn als Avatar des längst verstorbenen Joseph Curwen anzuerkennen. Solche Dinge hatte es schon früher gegeben, und mit denselben Argumenten schoben die nüchternen Doktoren Willetts wachsende Beunruhigung über Charles Wards derzeitige Handschrift beiseite, die er ohne Wissen des jungen Mannes anhand einiger Schriftproben studierte. Willett glaubte, endlich herausgefunden zu haben, weshalb ihm diese Schrift so merkwürdig bekannt vorkam — sie ähnelte ein wenig der Handschrift von keinem anderen als dem alten Joseph Curwen. Die anderen Ärzte sahen darin jedoch nur eine Phase des Nachahmungstriebes, die bei einer solchen Manie zu erwarten sei, und weigerten sich, dieser Tatsache irgendeine positive oder negative Bedeutung beizumessen. Als er sah, wie phantasielos seine Kollegen waren, riet Dr. Willett Mr. Ward, den Brief bei sich zu behalten, der am zweiten April für Dr. Allen aus Rakus in Transsilvanien eingetroffen war und dessen Aufschrift so sehr der Geheimschrift von Hutchinson glich, daß die beiden Männer beklommen innehielten, bevor sie das Siegel erbrachen. Der Brief hatte folgenden Wortlaut:
    7. März 1928 Schloß Ferenczy Lieber C. — Ein Trupp von 20 Milizsoldaten war bey mir, um mich über jene Dinge auszufragen, von welchen das Landvolk schwatzt. Muß tiefer graben, damit weniger zu hören sey. Diese Rumänen belästigen einen ohn Unterlaß; sie sind correct und diensteifrig, wo man sich einen Madjaren mit einer ordentlichen Mahlzeit kauften könnte. Letzten Monat brachte M. mir den Sarcophagus der Fünf Sphinxes von der Akropolis, woselbst jener, welchen ich erwekket, gesagt hatte, daß er sich befinden würde, und ich habe drey Gespräche mit dem gehabt, welcher darinnen begraben war. Eswird direkt an S. 0. in Prag und von dorthen zu Euch gesandt werden. Es ist widerspenstig, doch Ihr wisset, was dagegen zu thun sey. Ihr handelt weise, daß Ihr nicht so viele halthet wie ehedem; denn es war nicht nothwendig, die Wächter in ihrer Gestalt zu lassen, so daß sie sich die Köpfe abfraßen, denn man geräth in arge Bedrängniß, so man mit ihnen betroffen wird, wie Ihr wohl wisset. Nunmehr könnet ihr nothfalls fliehen und an einem anderen Orte arbeiten,

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