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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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Dunkel auf - und Dr. Willett sah, daß der Besitzer dieser sonderbaren, krächzenden Stimme kein anderer war als Charles Dexter Ward.
    Die Genauigkeit, mit der Dr. Willett das Gespräch dieses Nachmittags beschrieben hat, läßt sich auf die große Bedeutung zurückführen, die er diesem Abschnitt in Charles' Entwicklung beimißt. Denn nun endlich räumte er ein, daß eine einschneidende Veränderung in Charles Dexter Wards geistiger Verfassung sich vollzogen habe, und er glaubt, daß die Worte des jungen Mannes jetzt einem Gehirn entsprangen, das nichts mehr mit jenem Gehirn gemeinsam hatte, dessen Entwicklung er sechsundzwanzig Jahre hindurch verfolgt hatte. Die Kontroverse mit Dr. Lyman hat ihn gezwungen, sich genau festzulegen, und er erklärt nunmehr endgültig, daß nach seiner Meinung der Beginn von Charles Wards geistiger Umnachtung in jene Zeit fiel, da er anfing, seinen Eltern maschinengeschriebene Mitteilungen zu schicken. Diese Mitteilungen sind nicht in Wards normalem Stil abgefaßt, nicht einmal im Stil jenes letzten, verzweifelten Briefes an Dr. Willett. Statt dessen sind sie sonderbar altertümelnd, so als habe die plötzliche Geistesverwirrung des Schreibers eine Flut von Neigungen und Eindrücken ausgelöst, die er unbewußt durch die Altertumsforschungen in seiner Jugend in sich aufgenommen hatte. Das Bemühen, modern zu erscheinen, ist nicht zu übersehen, aber der Geist und gelegentlich auch die Sprache sind die der Vergangenheit.
    Die Vergangenheit sprach auch aus jeder Äußerung und jeder Geste von Charles Ward, als er den Doktor in dem düsteren Bungalow empfing. Er verbeugte sich, bedeutete Willett, Platz zu nehmen, und begann unvermittelt in jenem sonderbaren Flüsterton zu sprechen, den er gleich zu Anfang zu erklären versuchte.
    »Ich bekomme allmählich die Schwindsucht«, begann er. »Daran ist diese vermaledeite Luft am Fluß schuld. Sie müssen meine Sprache entschuldigen. Ich nehme an, Sie kommen von meinem Vater, um zu sehen, was mir fehlt, und ich hoffe. Sie werden ihm nichts sagen, was ihn beunruhigen könnte.«
    Willett studierte mit größter Aufmerksamkeit die krächzenden Töne, aber noch genauer beobachtete er das Gesicht seines Gesprächspartners. Irgend etwas war nicht in Ordnung, das spürte er; und er dachte daran, was die Familie ihm über den Butler aus Yorkshire erzählt hatte, der es eines Nachts plötzlich mit der Angst zu tun bekommen hatte. Er wünschte, es wäre nicht so dunkel gewesen, verlangte aber nicht, daß einer der Fensterläden geöffnet würde. Statt dessen fragte er Ward nur, warum er so eindeutig seinem verzweifelten Brief von vor weniger als einer Woche zuwiderhandle.
    »Es mußte einmal so weit kommen«, erwiderte sein Gastgeber. »Sie müssen wissen, ich bin in schlimmer nervlicher Verfassung und tue und sage sonderbare Dinge, die ich mir hinterher nicht erklären kann. Wie ich Ihnen schon oft sagte, bin ich großen Dingen auf der Spur, und deren Größe läßt mich irgendwie unbesonnen werden. Wohl jeder würde vor dem zurückschrecken, was ich gefunden habe, aber ich lasse mich nicht für längere Zeit abhalten. Es war töricht von mir, mich bewachen zu lassen und zu Hause zu bleiben; denn da ich nun einmal so weit gegangen bin, ist dies hier mein Platz. Meine neugierigen Nachbarn berichten nichts Gutes über mich, und vielleicht habe ich mich durch meine Schwäche verleiten lassen, selbst zu glauben, was sie von mir sagen. Aber es ist nichts Böses an allem, was ich tue, solange ich es richtig tue. Seien Sie so nett und warten Sie noch sechs Monate, und ich werde Ihnen etwas zeigen, das ihre Geduld reichlich lohnen wird.
    Sie werden wahrscheinlich auch wissen, daß ich eine Technik entwickelt habe, durch die ich aus Dingen mehr über die Vergangenheit erfahre als aus Büchern, und ich überlasse Ihnen das Urteil darüber, wie sehr ich die Geschichtswissenschaft, die Philosophie und die Künste durch die Möglichkeiten bereichern kann, die mir offenstehen. Mein Vorfahr hatte dies alles, als diese hirnlosen Schnüffler kamen und ihn ermordeten. Ich habe es jetzt wieder, oder habe doch zumindest auf sehr unzulängliche Weise Anteil daran. Diesmal darf nichts geschehen, schon gar nicht deshalb, weil irgendein Tor sich vor mir fürchtet. Ich beschwöre Sie, Herr Doktor, vergessen Sie alles, was ich Ihnen schrieb, und fürchten Sie sich nicht vor diesem Haus oder irgendwelchen Dingen, die es birgt. Dr. Allen ist ein äußerst fähiger Mann, und ich

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