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Der Fall Collini

Der Fall Collini

Titel: Der Fall Collini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand von Schirach
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Mittelhalle angeordnet sind. Heute hieß es Untersuchungshaftanstalt Moabit. Seit über hundertzwanzig Jahren wurden hier Gefangene untergebracht, die Zellen waren nur ein paar Quadratmeter groß, Bett, Tisch, Stuhl, Schrank, Waschbecken, Toilette. Fabrizio Collini war der Gefangene mit der Buchnummer 284/01-2, Station II, Zelle 145. Die Beamtin hinter der Glasscheibe suchte den Namen auf der Liste. Leinen legte ihr den Beschluss des Amtsgerichts vor, sie trug seinen Namen in eine Liste ein. Collini konnte jetzt Post von ihm bekommen, die kein Richter kontrollierendurfte. Sie rief einen Wachtmeister über die interne Sprechanlage und bat darum, Collini dem Anwalt vorzuführen.
    Leinen wartete vor einer der Anwaltssprechzellen, Wachtmeister mit Häftlingen gingen an ihm vorbei. Sie redeten über die Gefangenen wie über Gegenstände: »Wo bringst du deinen hin? Meiner kommt gerade vom Arzt …« Die Beamten verachteten die Gefangenen nicht, die meisten wollten noch nicht einmal wissen, was ihnen vorgeworfen wurde. Die Sprache war einfach, wie sie immer gewesen war.
    Fabrizio Collini kam den Flur herunter. Leinen war wieder irritiert von seiner Größe, er konnte den Beamten hinter Collini nicht einmal sehen. Sie gingen in die Sprechzelle. Der Raum war zu zwei Dritteln mit gelber Ölfarbe gestrichen, ein Resopaltisch, zwei Stühle, ein Waschbecken. An der Stirnseite, weit oben, ein kleines Fenster, der Aschenbecher war eine leere Keksdose aus Blech, neben der Tür ein roter Alarmknopf. Es roch nach Zigaretten, Essen und Schweiß. Leinen setzte sich mit dem Rücken zum Fenster, Collini gegenüber. Er trug die blaue Anstaltskleidung, die Mordkommission hatte ihm seine Sachen abgenommen.
    Leinen erzählte von seiner Freundschaft mit den Meyers und beobachtete Collinis schweres, knochiges Gesicht. Collini reagierte nicht.
    »Wir müssen das klären, Herr Collini. Ist meine Freundschaft zu den Meyers ein Problem für Sie?«
    »Nein«, sagte Collini. »Er ist tot. Interessiert mich nicht mehr.«
    »Was interessiert Sie nicht?«
    »Meyer und seine Familie.«
    »Aber Sie werden vermutlich wegen Mordes angeklagt. Sie können ›lebenslänglich‹ bekommen.«
    Collini legte beide Hände auf den Tisch. »Ich war’s ja auch.«
    Leinen starrte auf den Mund des riesigen Mannes. Es stimmte, Collini hatte es getan. Der Mann hatte in Meyers Kopf geschossen, vier Mal, er war schuld, dass die Gerichtsmediziner seinen Freund zerschnitten und zu einem Fall gemacht hatten. Der Mann hatte Hans Meyers Gesicht zertreten, so lange, bis sein Schuhabsatz abriss. Leinen erinnerte sich an dieses Gesicht, an seine Furchen, an die dünnen Lippen und an das Lachen. Das Gesetz verlangt zu viel von mir, dachte Leinen, ich kann ihn nicht verteidigen, ich kann ihn kaum ansehen. »Aber warum haben Sie ihn getötet?«, fragte Leinen. Er riss sich zusammen.
    Collini betrachtete seine Hände. »Mit diesen Händen«, sagte er.
    »Ja, Sie haben es getan. Aber warum? Sie müssen mir sagen, warum.«
    »Ich will nicht drüber reden.«
    »Ich kann Sie so nicht verteidigen.«
    Der Schatten des Stahlnetzes vor dem Oberlicht zeichnete sich unscharf auf der gelben Wand ab. Vom Gang hörten sie die Beamtin Namen von Gefangenen rufen. Collini zog eine Packung Zigaretten aus seiner Brusttasche, klopfte eine Zigarette heraus und steckte sie sich in den Mund. »Haben Sie Feuer?«, fragte er.
    Leinen schüttelte den Kopf.
    Collini stand auf und ging zum Waschbecken, dann zur Tür und wieder zurück zum Waschbecken. Leinen begriff, dass Collini Feuer suchte, und plötzlich tat es ihm leid, dass er keines hatte.
    »Wären Sie denn bereit, ein Geständnis abzulegen? Das wäre – falls wir von dem Mordvorwurf runterkommen – immerhin ein Grund für das Gericht, Ihre Strafe zu mildern. Würden Sie das tun?«
    Collini setzte sich wieder. Er schien einen bestimmten Punkt an der kahlen Wand zu fixieren.
    »Würden Sie wenigstens das machen? Sie müssen nur darüber sprechen, wie Sie ihn getötet haben. Nur das Wie, nicht das Warum. Verstehen Sie das?«
    Nach einer langen Pause sagte Collini: »Ja.« Er sagte einfach nur Ja, das war alles. Collini stand auf. »Ich will jetzt lieber wieder zurück in die Zelle.«
    Leinen nickte. Collini ging zur Tür. Sie gaben sichnicht die Hand. Das Gespräch hatte keine fünfzehn Minuten gedauert.
    Der Wachtmeister wartete draußen auf ihn, ein dicker Mann mit einem Specknacken, das hellbraune Hemd seiner Uniform spannte an seinem Bauch und gab

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