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Der Fall Demjanjuk

Der Fall Demjanjuk

Titel: Der Fall Demjanjuk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Wefing
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Reporter der «New York Times» sie 1964 aufspürte und enttarnte, wurde beschuldigt, eine besonders grausame Aufseherin im KZ Majdanek gewesen zu sein. 1971 war ihr der amerikanische Pass entzogen worden, zwei Jahre später stimmte sie der Abschiebung nach Deutschland zu, wohl auch aus Furcht vor einer möglichen Auslieferung nach Polen, wo ihr die Hinrichtung drohte. Ein Gericht in Düsseldorf verurteilte sie schließlich 1981 wegen Mordes zu lebenslanger Haft.
    Es war, fast dreißig Jahre nach Kriegsende, tatsächlich das erste Mal, dass ein US-Bürger wegen Nazi-Verbrechen ins Ausland abgeschobenwurde. Dementsprechend machte der Fall Braunsteiner Schlagzeilen und bewog auch mehrere Kongressabgeordnete, sich des Themas anzunehmen. Gemeinsam drängten die Parlamentarier den damaligen Präsidenten Gerald Ford, das US-Außenministerium und die Justizbehörden, mögliche Kriegsverbrecher endlich intensiver zu verfolgen. Das Thema fand derart viel Aufmerksamkeit, dass sowohl Präsident Ford als auch sein Gegenkandidat Jimmy Carter im Präsidentschaftswahlkampf im Herbst 1975 öffentlich gelobten, die Suche nach Alt-Nazis in Amerika künftig sehr viel entschiedener zu betreiben.
    Es war zunächst nur ein Versprechen. Für John Demjanjuk folgte daraus nichts. Gut möglich, ziemlich wahrscheinlich sogar, dass er die rechtspolitischen Debatten in Washington überhaupt nicht registriert hat. Denn noch war der Streit der Politiker bloß eine abstrakte Sache, noch störten ihre Diskussionen Demjanjuk daheim in seinem Haus in Seven Hills, Ohio, nicht beim Rasenmähen und Rosenzüchten. Er reparierte weiter die Autos der Nachbarn und die Fahrräder der Kinder, und 1976 verheiratete er seine Tochter Lydia in der St. Vladimirs-Kirche. Zweihundert Gäste feierten mit der Familie. Doch unter der friedlichen Oberfläche des Alltäglichen waren längst andere Kräfte am Werk, wie eine tückische Unterströmung in einem See, der spiegelglatt in der Sonne liegt. Demjanjuks ruhige amerikanische Jahre gehen zu Ende, unwiderruflich.
    Im Oktober 1975 taucht in Washington eine Liste mit den Namen von siebzig US-Bürgern ukrainischer Herkunft auf, die angeblich in Kriegsverbrechen der Nazis verstrickt gewesen sein sollen. Auch John Demjanjuks Name steht auf der Liste, komplett mit Geburtstag, Geburtsort und dem Hinweis, er lebe im Großraum Cleveland. Er habe sich, so lautet der Vorwurf, während des Zweiten Weltkriegs freiwillig bei den Deutschen gemeldet, sei in Trawniki zum Wachmann ausgebildet worden und habe an der massenhaften Ermordung von Juden im Vernichtungslager Sobibor teilgenommen. Gleichfalls auf der Liste steht ein Fabrikarbeiter namens Fjodor Fedorenko, wohnhaft in Waterbury, Connecticut. Auch er soll in Trawniki gewesen sein, auch er habe sich als Nazi-Scherge verdingt, heißt es, und sei in Treblinka am Morden beteiligt gewesen.
    Es ist diese Liste, die Demjanjuks Schicksal wendet. Zum erstenMal wird sein Name in den USA ausdrücklich mit Sobibor in Verbindung gebracht, zum ersten Mal wird er der Kollaboration mit den Nationalsozialisten bezichtigt. Alles, was später folgen wird – die schier endlosen Prozesse in den Vereinigten Staaten, in Israel und Deutschland, die Jahre in der Todeszelle –, all das hat seinen Ursprung in dieser Zusammenstellung. Ohne die Liste wäre der Mann aus Cleveland vermutlich ein Unbekannter geblieben. Ohne die Liste hätte es nie einen «Fall Demjanjuk» gegeben.
    In Umlauf gebracht hat das Papier der Journalist Michael Hanusiak, der in New York die «Ukrainian Daily News» herausgab, eine kleine pro-sowjetische Zeitung in ukrainischer Sprache. Hanusiak, der im Oktober 2007 im Alter von 93 Jahren gestorben ist, erklärte seinerzeit, er habe das Belastungsmaterial gegen die siebzig Verdächtigen auf der Liste selbst zusammengetragen, bei aufwendigen Nachforschungen in sowjetischen Archiven, in Gesprächen mit russischen Journalisten und polnischen Staatsanwälten. Auf welche Quellen Hanusiak seine Vorwürfe stützte, lässt sich heute im Einzelnen nicht mehr nachvollziehen. Sicher ist nur, dass er in einer Weise in der Sowjetunion reisen und recherchieren konnte, wie das den meisten Journalisten und Historikern in den sechziger und siebziger Jahren praktisch unmöglich war. Und das provozierte Fragen. Immer wieder wurde der Journalist verdächtigt, ein Handlanger Moskaus gewesen zu sein.
    Tatsächlich war Hanusiak ein engagierter Kommunist im streng anti-kommunistischen Amerika, ein

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