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Der Fall Demjanjuk

Der Fall Demjanjuk

Titel: Der Fall Demjanjuk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Wefing
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Liste als Wachmann in Sobibor aufgeführt ist, wird er fortan beschuldigt, er habe in Treblinka die Gaskammer betrieben. Er, der Automonteur aus Seven Hills, Vater von drei Kindern, regelmäßiger Kirchgänger, so lautet der Vorwurf, sei «Iwan Grozny» gewesen – Iwan der Schreckliche.
    Der Verdacht ist in der Welt. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf.
    Dass die Beamten des INS dem Widerspruch zwischen den Aussagen der israelischen Zeugen und Hanusiaks Liste anfangs nicht genauer nachgegangen sind, mag zunächst schlicht am Ziel ihrer Ermittlungen gelegen haben. Sie arbeiteten nicht an einer Strafsache, sondern an einem Ausbürgerungsverfahren. Ihr Job war es nicht, Demjanjuk ein Kriegsverbrechen nachzuweisen, sie hatten lediglich zu prüfen, ob er 1951 bei seiner Einreise in die USA falsche Angaben gemacht hatte. Er hätte damals, so verlangte es das Gesetz, jede Zusammenarbeit mit denNazis offenlegen müssen. Ob er diese Pflicht vorsätzlich verletzt hatte, darum allein ging es. Ob er einen Einsatz als Wachmann in Sobibor verschwiegen hatte oder einen in Treblinka, war insofern juristisch ohne Belang. Jede falsche Angabe genügte, um ihm seinen US-Pass abzunehmen und ihn außer Landes zu schicken.
    An dieser sehr formalen Auffassung hielten die INS-Ermittler auch noch fest, als die sowjetische Quelle von Neuem zu sprudeln begann. Im August 1976 erschien in der sowjetischen Wochenzeitung «Visti z Ukraini» («Nachrichten aus der Ukraine») ein Artikel, der Hanusiaks Vorwürfe gegen Demjanjuk wiederholte und mit zahlreichen Details zu belegen versuchte. In dem Zeitungstext war von einem vermeintlichen Dienstausweis Demjanjuks die Rede und von einem Zeugen namens Ignat Daniltschenko, der 1949 vor sowjetischen Ermittlern ausgesagt habe, er sei Demjanjuk im März 1943 im Vernichtungslager Sobibor begegnet und habe anschließend gemeinsam mit ihm im KZ Flossenbürg für die SS Posten gestanden.
    Das waren wichtige, aber auch verwirrende Informationen. Zum ersten Mal erfuhren die Ermittler von angeblichen Dokumenten, die ihre Vorwürfe beweisen sollten, und zum ersten Mal war von einem Zeugen die Rede. Nur: Nichts wies darauf hin, dass Demjanjuk in Treblinka gewesen sei, wiederum deutete alles auf einen Einsatz in Sobibor.
    Dennoch erheben die Ermittler am 25. August 1977 Klage gegen Demjanjuk. Sie werfen ihm vor, bei der Einreise in die USA über seine Verstrickungen mit den Nazis gelogen zu haben, und beantragen bei Gericht, dem Mann aus Seven Hills seinen amerikanischen Pass abzunehmen, ihn auszubürgern und in ein anderes Land abzuschieben.
    Die Klage löst heftigen Wirbel aus. Bei den Demjanjuks steht das Telefon nicht mehr still. Freunde und Bekannte rufen an, Reporter wollen Antworten. Ein einziges Fernsehinterview geben Vera und John Demjanjuk einen Tag nach der Anklageerhebung, daheim auf ihrem Sofa. Sie hätten «deprimiert» ausgesehen, notiert ein Journalist, «verstört, mitgenommen, beinahe hysterisch». Demjanjuk beteuert seine Unschuld. Die Vorwürfe gegen ihn seien falsch. Und er sagt, was er fortan immer wieder sagen wird, dass er selbst ein Opfer der Deutschen gewesen sei. Dass er nicht in Treblinka oder in Sobibor oder in Trawniki gewesen sei. «Ich war nirgendwo, was jetzt von denen geschriebenwird. Ich weiß nichts davon!» Vor laufender Kamera fällt seine Frau Vera in Ohnmacht.
    Fortan ist das Leben der Demjanjuks nicht mehr das alte. Es beginnt ein zäher, verwickelter juristischer Kampf, der sich über mehr als zehn Jahre hinziehen wird. Er wird die Familie an den Rand des Zusammenbruchs führen, Millionen Dollar verschlingen, politische Verwerfungen in Washington auslösen und die Emotionen der ukrainischen Gemeinde in den USA aufpeitschen. Vor allem aber wird der Kampf in einem Justizskandal enden, der das Vertrauen in die Integrität der Ermittler erheblich erschüttert.

Kafka in Washington
    Vereinigte Staaten, 1977–1986
    Nur wenige Seiten zählt der Bericht, den George Parker im Februar 1980 in seinem Büro in Washington aus der Schreibmaschine zieht. Er liest das Papier noch einmal gründlich durch und unterschreibt es dann. Es ist ein Bericht, der dem Fall Demjanjuk eine dramatisch andere Wendung hätte geben können. Ein Dokument, das Demjanjuk schier endlose Prozesse, eine Anklage in Israel und Jahre in der Todeszelle erspart hätte – wenn es nur beachtet worden wäre. Es ist ein Dokument des Zweifels, ein letzter Versuch, die Ermittlungen gegen den Mann aus Seven Hills, Ohio,

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