Der Fall Demjanjuk
Massenexekution von den sowjetischen Behörden hingerichtet.
An Israel haben Demjanjuk und seine Anwälte keine Sekunde gedacht. Aber im Januar 1982 treffen sich mehrere Beamte des amerikanischen und des israelischen Justizministeriums in Jerusalem, um informell über eine mögliche Auslieferung von NS-Verbrechern an Israel zu beraten. Lange hatten sich die zuständigen Politiker dagegen gesträubt, mutmaßliche NS-Täter nach Israel zu holen. Die Israelis wollten Strafverfahren gegen NS-Verbrecher, aber sie wollten sie in Deutschland, Frankreich oder Italien. Israel wollte nicht erledigen müssen, was andere Staaten versäumten. Doch als weltweit seit Mitte der siebziger Jahreimmer neue Fälle auftauchten, begann in Jerusalem ein Umdenken. Deshalb diskutierten die sechs Teilnehmer der Besprechung die juristischen Prozeduren für etwaige Auslieferungen von ehemaligen US-Bürgern an Israel, erörterten mögliche Risiken und einigten sich schließlich darauf, in einem konkreten Fall einen Versuch zu starten. Beide Seiten waren sich einig, dass die geschickte Auswahl dieses Falles von überragender Bedeutung sein würde. Und einer der israelischen Gesprächsteilnehmer, so berichtet der Journalist Tom Teicholz in seinem Buch über den israelischen Prozess gegen Demjanjuk, erwähnte schließlich den Namen des Mannes, dessen Fall er für besonders aussichtsreich hielt: John Demjanjuk.
Juristische Grundlage für das israelische Auslieferungsersuchen war ein Gesetz, das die Knesset, das israelische Parlament, im Jahr 1950 beschlossen hatte: das «Nazi and Nazi Collaborators Law», ein Gesetz zur Bestrafung von Nazis und deren Gehilfen. Zunächst hatte niemand daran geglaubt, Israel werde jemals deutsche NS-Verbrecher anklagen. Es sollte vielmehr eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, um jüdische Kollaborateure, die sich in Israel niedergelassen hatten, bestrafen zu können, Menschen, die den «Judenräten» der Nazis angehört oder als «Kapos» in den KZs gedient hatten. Tatsächlich wurden ein paar Dutzend solcher Nazi-Schergen in Israel vor Gericht gestellt, einer wurde sogar zum Tode verurteilt, aber er starb, bevor die Strafe vollstreckt werden konnte. Große Beachtung fanden diese Prozesse in der israelischen Öffentlichkeit nicht.
Das Gesetz orientierte sich im Wesentlichen am Wortlaut der Deklarationen der Vereinten Nationen, die nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe gestellt hatten. Die israelische Vorschrift wich insofern, in Übereinstimmung mit den in den Nürnberger Prozessen entwickelten und international akzeptierten Grundsätzen, ausdrücklich vom gemeinhin geltenden Rückwirkungsverbot von Strafnormen ab, sie galt, anders gesagt, für Taten, die schon begangen worden waren, bevor es das Gesetz gab. Auch prozessual enthielt die Vorschrift eine Reihe von Besonderheiten. Sie wahrte die elementaren Grundrechte der Angeklagten, verlangte im Unterschied zur üblichen Strafprozessordnung jedoch ein spezielles Richtergremium und ließ Beweise zu, die in normalen Prozessen unzulässigsind, Zeugnisse vom Hörensagen etwa oder Erkenntnisse der historischen Wissenschaften.
Im April 1983 beginnt das Auslieferungsverfahren gegen Demjanjuk in den USA. Am 31. Ende Oktober 1983 beantragt der Staat Israel formell die Auslieferung des Mannes aus Seven Hills.
Langsam, Schritt für Schritt, bewegt sich das juristische Verfahren durch die Instanzen, bis hinauf zum Supreme Court in Washington, dem höchsten Gericht der Vereinigten Staaten, das Demjanjuks Einspruch jedoch nicht zur Verhandlung annimmt. In wachsender Panik feuert Demjanjuk seine Anwälte und engagiert neue, gemeinsam mit seinen Kindern tritt er für eine Weile sogar in den Hungerstreik, doch alles ist vergebens. Unaufhaltsam rückt die endgültige Entscheidung näher. Und sosehr auch Demjanjuk, seine Familie und seine Verteidiger hoffen, die Auslieferung noch irgendwie stoppen zu können, und sei es durch ein Wunder – die Aussichten werden zusehends düsterer.
Im April 1985 wird Demjanjuk in Haft genommen und im Februar 1986 aus dem Bezirksgefängnis von Cleveland in das Metropolitan Correctional Center in der Park Row in New York City geschafft. Allan Ryan und seine Männer vom OSI sind am Ziel. Seit Jahren haben sie fieberhaft daran gearbeitet, Demjanjuk aus den USA zu schaffen. Nun steht die Auslieferung unmittelbar bevor. Eine allerletzte Eingabe beim Justizminister wird abgewiesen,
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