Der Fall Demjanjuk
«politische Probleme für uns alle schaffen, bis hinauf zum Justizminister». Und Allan Ryan, damals Direktor des OSI, schrieb 1980 an den stellvertretenden Justizminister, seine Behörde habe Rückhalt im Kongress, bei jüdischen Organisationen und in der allgemeinen Öffentlichkeit gewonnen: «Die Presse berichtet durchweg positiv, und wir haben die Unterstützung der jüdischen Organisationen.» Aber, fuhr Ryan fort, «diese Unterstützung ist nicht selbstverständlich, sondern muss bei jeder Gelegenheit erneuert werden».
Das US-Bundesgericht in Cincinnati fasste seine Einschätzung 1993 folgendermaßen zusammen: «Es ist offenkundig, dass im OSI die Überzeugung herrschte, die Behörde müsse versuchen, verschiedene Interessengruppen zufriedenzustellen und die Beziehungen zu ihnen zu pflegen, weil das Fortbestehen der Dienststelle davon abhänge.» Mit anderen Worten: Es ging nach Einschätzung der Richter nicht nur um Demjanjuks Leben. Es ging auch um die Zukunft des OSI.
Das Urteil des Bundesgerichts ist von Vertretern des OSI später scharf kritisiert worden. Dem Vorsitzenden Richter Gilbert Merritt wurde unverhohlen Antisemitismus unterstellt, einem Mann, der zeitweise immerhin als Kandidat für einen Sitz im Supreme Court, dem höchsten Gericht der USA, gehandelt wurde. Juristisch aber hat die Entscheidung des US Court of Appeals Bestand.
Von all den Machinationen hinter den Kulissen aber wusste Demjanjuk nichts. Und seine Anwälte erfuhren davon ebenso wenig wie die Richter, die seinen Fall zu entscheiden hatten.
Am 10. Februar 1981, nach schier endlosen juristischen Vorbereitungen, erscheint John Demjanjuk zum ersten Mal vor Gericht. Sechzig Jahre alt ist er an diesem Morgen, der Krieg ist seit 36 Jahren zu Ende, aber für Demjanjuk ist er noch lange nicht vorbei. Alles, was er in den Vereinigten Staaten erreicht hat, steht jetzt auf dem Spiel. Seine Familie, sein Job, der bescheidene Wohlstand. Das Haus, der Garten, der Pass mit dem US-Wappen. Am Ende vielleicht sogar sein Leben.
Demjanjuk trägt einen blauen Anzug, ein weißes Hemd, eine helle Krawatte und seine enorme Brille. Ein Beobachter notiert, der Mechaniker habe beinahe wie ein Anwalt ausgesehen, nicht wie der Angeklagte. Seine Familie ist bei ihm, seine Frau und seine drei Kinder, außerdem sein erster Verteidiger, John Martin.
Ohne große Vorreden eröffnet Chief Judge Frank Battisti vom Federal District Court in Cleveland das Verfahren
United States of America vs. John Demjanjuk.
Im Saal, dem größten des Gerichtsgebäudes, sichern zwanzig US-Marshals die Ordnung, als Staatsanwalt John Horrigan die Anklage vorträgt. Demjanjuk habe gelogen, als er in die USA gekommen sei und einen amerikanischen Pass beantragt habe. Er habe verschwiegen, dass er am Massenmord an den Juden beteiligt gewesen sei, wirft ihm Horrigan vor. «John Demjanjuk hat sich durch besondere Grausamkeit hervorgetan», erklärt der Staatsanwalt. «Er war derart grausam, dass ihn die Opfer nur Iwan den Schrecklichen nannten.» Der Ankläger beantragt, das Gericht solle Demjanjuk die US-Staatsbürgerschaft entziehen.
Es ist, auf den ersten Blick, eine sehr bürokratische Angelegenheit. Da steht ein Mann, der des vieltausendfachen Mordes bezichtigt wird, vor Gericht, aber er wird nicht dieses Verbrechens wegen angeklagt, sondern wegen eines Verstoßes gegen die US-Einreisebestimmungen. Ihm drohen weder Haft noch Hinrichtung, jedenfalls nicht in Amerika, ihm drohen nur der Verlust seines Passes und anschließend die Deportation aus den Vereinigten Staaten, nach Israel, nach Polen oder in die Sowjetunion. So schreiben es die amerikanischen Gesetze vor. Sie lassen eine Verurteilung wegen eines Verbrechens außerhalb der USA nicht zu.
John Demjanjuk im Jahr 1981.
Aber hinter dieser Prozedur steht eine andere Frage. Die Frage, die seither viele Gerichte beschäftigt hat, in den Vereinigten Staaten, in Israel und schließlich in Deutschland. Die Frage, die Demjanjuks Leben bestimmt hat. Sie lautet: War der Mann aus Seven Hills ein Nazi-Scherge? Hat er Zehntausende Juden in den Tod getrieben? Oder war er, wie sein Verteidiger behauptet, nur ein einfacher Rotarmist, einer von Millionen, der von den Deutschen gefangen genommen wurde und im Kriegsgefangenenlager beinahe verreckt wäre? Auf welcher Seite stand dieser John Demjanjuk?
Draußen, im eisigen Regen vor dem Court House, demonstrieren rund 150 Menschen für Demjanjuk. Sie fordern seine sofortige Freilassung,
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