Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fall Demjanjuk

Der Fall Demjanjuk

Titel: Der Fall Demjanjuk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Wefing
Vom Netzwerk:
derVerantwortung; dies war der Prozess einer neuen Generation, der Generation, die nach dem Holocaust geboren worden war. Der Vorsitzende Richter, der das Verfahren gegen Demjanjuk leitete, Dom Levin, war in Israel zur Welt gekommen, und seine beiden Beisitzer, Dalia Dorner und Ziv. Tal, hatten schon während des Zweiten Weltkriegs in Palästina gelebt; die Staatsanwälte und die Verteidiger waren überwiegend nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren worden. Einer der Ankläger, Michael Horowitz, war erst Mitte dreißig, als er den Fall Demjanjuk übernahm. Seine Mutter hatte das KZ in Bergen-Belsen überlebt. Zum ersten Mal bot sich ihm die Gelegenheit, sich direkt mit den Verbrechen der Nationalsozialisten auseinanderzusetzen. «Da sitzt man über ein Jahr lang im Gerichtssaal diesem Mann gegenüber», erinnerte sich Horowitz später an Demjanjuk, «und man fragt sich: Wer bist du? Was geht in deinem Kopf vor?»

    Adolf Eichmann im schusssicheren Glaskasten während des ersten Prozesstages am 11. April 1961.
    Es war, von Anfang an, ein emotional und politisch hoch aufgeladener Prozess. Es ging, wie schon im Eichmann-Prozess, um mehr als bloß um die individuelle Schuld eines einzelnen Mannes. Es ging umhistorische Aufklärung, und es ging, am Ende, um die Identität des Staates Israel.
    Die enormen Erwartungen an den Prozess bestimmten auch die Vorbereitungen. Weil die Verantwortlichen mit einem gewaltigen Andrang an Zuschauern und Journalisten rechneten, fand das Verfahren nicht in einem normalen Gerichtssaal statt, sondern in einem Saal des Internationalen Kongresszentrums von Jerusalem, in der Banane Homa, der Halle des Volkes, die gewöhnlich als Kino diente. Die drei Richter saßen auf der Bühne an einem rasch aufgebauten Richtertisch, unter dem israelischen Staatswappen, gerahmt von israelischen Flaggen. Eine ehemalige Garderobe diente als improvisierte Zelle für den Angeklagten, die Zuschauer fanden Platz auf den roten Sesseln des Auditoriums, die Galerie wurde für die Presse aus aller Welt reserviert. Draußen, im Foyer, hing eine Tafel mit der Aufschrift «Hier die Waffen abgeben» und schräg gegenüber ein Schild mit dem Hinweis «Kasse für die Aufführungen».
    Als sei dieser ungewöhnliche Ort nicht schon Signal genug, dass für das Verfahren gegen Demjanjuk etwas andere als die üblichen Regeln gelten würden, erlaubte das Gericht, wie seinerzeit beim Eichmann-Prozess, eine Live-Übertragung aller Verhandlungen im Radio und im Fernsehen – ein ganz ungewöhnlicher Schritt, ein Bruch mit allem, was üblich war in normalen Verfahren.
    Viel ist über diese äußeren Umstände gestritten worden. Die wenigen Unterstützer von Demjanjuk, seine Anwälte zumal, sahen in dem Ort und den laufenden Fernsehkameras einen Beweis dafür, dass die ganze Sache ein «Schauprozess» sei. Besonders Yoram Sheftel, ein israelischer Staranwalt, der nach einer Weile die Rolle des Chefverteidigers von Demjanjuk übernahm, wütete gegen das Verfahren, verglich es mit einem Stalin’schen Tribunal und nannte den Prozess eine «Perversion der Gerechtigkeit». Nie um eine pathetische Formulierung verlegen, erklärte Sheftel später, er habe sich vor Gericht gelegentlich gefühlt wie ein «Gladiator in einer römischen Arena»: ganz allein inmitten einer Meute, die nach Blut giere.
    Und, war das Verfahren in Jerusalem ein «Schauprozess»? Nein, John Demjanjuk ist in Israel human und korrekt behandelt worden. Er konnte sich ausgiebig zu den Vorwürfen äußern, die gegen ihn erhobenwurden. Seine Familie war bei ihm, an nahezu jedem Prozesstag. Er durfte seine Anwälte frei wählen und wechseln und hat davon auch rege Gebrauch gemacht; zahllose Zeugen haben für ihn ausgesagt. Immer wieder wurde der Verteidigung Aufschub gewährt für Recherchen im Ausland, und ganz selbstverständlich hatte der Angeklagte die Möglichkeit, das Urteil des Bezirksgerichts von einer höheren Instanz, dem Supreme Court, dem obersten Gerichtshof des Staates Israel, überprüfen zu lassen. Von all diesen Garantien eines Rechtsstaats konnten die Opfer von Stalins Terrorprozessen nur träumen. Nein, formal war alles in Ordnung im Verfahren gegen Demjanjuk.

    Prozessbeginn im Verfahren gegen John Demjanjuk am 16. Februar 1987 im Internationalen Kongresszentrum von Jerusalem.
    Es waren eher die Begleitumstände, die Zweifel an der Fairness des Prozesses schürten. Vor allem die öffentliche Meinung in Israel war in einer Weise gegen Demjanjuk

Weitere Kostenlose Bücher