Der Fall Demjanjuk
verbrennen eine sowjetische Flagge und schwenken Plakate: «Raus mit den Sowjets aus US-Gerichten» steht auf einem.
Die ukrainische Community in den USA hat sich rasch und sehr entschieden mit Demjanjuk solidarisiert. In den ukrainisch-orthodoxen Kirchen im ganzen Land wird für ihn gebetet. Ukrainischstämmige Amerikaner schreiben Briefe an Politiker und an die Medien, um seine Freilassung zu erwirken; bei Spendensammlungen werden im Laufe der Jahre mehrere Millionen Dollar für Demjanjuks Verteidigung aufgebracht.
Viele der Exil-Ukrainer in den Vereinigten Staaten halten den Mechaniker aus Seven Hills nicht für einen Täter, sondern für ein Opfer: für das Opfer einer Verschwörung, die vom kommunistischen Regime in Moskau ferngesteuert werde. Sie glauben, die Vorwürfe gegen Männer wie Demjanjuk oder Fedorenko seien in Wahrheit Angriffe gegen alle Ukrainer in den USA. Sie sind überzeugt, die sowjetische Führung wolle nicht bloß ein paar Kriegsverbrecher enttarnen, sie verfolge vielmehr ganz andere Absichten.
Moskau wolle, erstens, von den furchtbaren Verbrechen der Bolschewisten an den Ukrainern ablenken, von der «Holodomor» genannten Hungersnot während der brutalen Zwangskollektivierungen in den dreißiger Jahren, die auch Demjanjuk nur unter entsetzlichen Entbehrungen überlebt hatte. Und zweitens wolle der Kreml, so eine weitverbreitete Theorie, die mehrheitlich strikt antisowjetisch eingestellten Ukrainer in den USA politisch isolieren. Einer der Demonstranten vor dem Bezirksgericht in Cleveland erzählte dem Reporter der «New York Times», mit dem Prozess gegen Demjanjuk suche Moskau Zwietracht zu säen zwischen Juden und Ukrainern.
Ob es einen solchen strategischen Plan je gegeben hat oder ob es sich dabei bloß um ein Hirngespinst handelt, konnte nie geklärt werden. Beweise für ein Komplott gibt es nicht. Aber Demjanjuks Sympathisanten brauchten keine Beweise, ihnen genügten Vermutungen. Dass die ersten Hinweise auf Demjanjuks angebliche Kollaboration mit den Nazis ausgerechnet von dem erklärten Kommunisten Michael Hanusiak gekommen seien, dass auch die wichtigsten Dokumente, die Demjanjuks Schuld beweisen sollten, aus sowjetischen Archiven stammten, galt ihnen als Beleg genug für eine Intrige.
Es gehört angesichts solcher Behauptungen und Unterstellungen zu den besonders absurden Pointen des verschlungenen Verfahrens gegen John Demjanjuk, dass es nicht die Russen sind, die nachweislich Entlastungsmaterial zurückhalten, sondern die Behörden ebenjenes Staates, der USA, in dem Demjanjuk um jeden Preis bleiben will. Es ist kein gutes Bild, das der amerikanische Rechtsstaat da abgibt.
Am 23. Juni 1981, nach fünfmonatigen Verhandlungen, verkündet Richter Battisti in der Sache
United States of America vs. John Demjanjuk
sein Urteil. Vierundvierzig Seiten zählt die Begründung. Nach den Auftritten mehrerer israelischer Holocaust-Überlebender und den Aussagen diverser Sachverständiger ist das Gericht überzeugt, Demjanjuk habe in seinem Visumsantrag seinen Dienst als SS-Wachmann in Trawniki und Treblinka bewusst verschwiegen, also seine Einbürgerung durch vorsätzlich falsche Angaben erreicht. Die Entscheidung kennt keinen Zweifel: Demjanjuk sei Iwan der Schreckliche gewesen, stellt Richter Battisti fest, er hätte niemals in die Vereinigten Staaten einwandern dürfen. Demjanjuks Staatsbürgerschaft wird mit sofortiger Wirkung widerrufen. Sein schlichter amerikanischer Traum liegt in Trümmern.
Noch aber muss der mittlerweile Einundsechzigjährige das Land nicht verlassen. Noch ist er weiter auf freiem Fuß. Noch kann er seinen Garten pflegen und gelegentlich mit den Enkelkindern spielen. Denn zunächst einmal legt sein Anwalt Berufung ein gegen das Urteil von Richter Battisti. Und, mehr noch, erst muss sich ein Staat finden, der bereit wäre, Demjanjuk aufzunehmen. Die zuständigen amerikanischen Stellen nehmen Kontakt mit ihren Kollegen in Übersee auf. Denkbar wäre, ähnlich wie im Falle von Hermine Braunsteiner Ryan, eine Abschiebung nach Deutschland, in das Land der Täter. Oder nach Polen, wo Demjanjuk seine Mordtaten begangen haben soll, eventuell auch in die Sowjetunion, in das Land seiner Geburt. Dorthin wird im Dezember 1984 auch Fjodor Fedorenko ausgeliefert werden, ein gebürtiger Ukrainer wie Demjanjuk, der allerdings seine Kollaboration mit den Nazis eingeräumt hatte. Knapp drei Jahre später, im Juli 1987, wird er wegen Hochverrats und Beteiligung an einer
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