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Der Fall Demjanjuk

Der Fall Demjanjuk

Titel: Der Fall Demjanjuk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Wefing
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Pohl.
    «Können Sie mit Sicherheit sagen, dass alle, die auf der Liste standen, auch auf Transfer geschickt wurden, und ob alle, die auf der Liste standen, auch wirklich im Lager angekommen sind?»
    Nein, Dieter Pohl kann es nicht mit Sicherheit sagen. Doch daraus abzuleiten, dass die Listen nie vollständig und somit nie aussagekräftig sein könnten, dagegen verwahrt sich der Historiker. Und doch ist es dem Verteidiger Demjanjuks gelungen, einen Gran Zweifel in Pohls Aussage zu streuen.
    Das fraglos wichtigste Dokument im Fall Demjanjuk bleibt daher der «Dienstausweis», der nun in München auf der Richterbank liegt.
    Die Anwälte der Nebenkläger haben Fotos dieses Ausweises in ihre Laptops eingescannt, um ihn in jedem Detail betrachten zu können, und wenn man sie vom Zuschauerraum des Gerichtssaals aus beobachtet, dann sieht man Bildschirm an Bildschirm, sanft leuchtend, mit immer neuen Ausschnitten des braunen Papiers, riesenhaft vergrößert.Es gibt kein einprägsameres Bild für die Bedeutung des «Dienstausweises».
    Über die Authentizität dieses Papiers wird gestritten, seit es Mitte der siebziger Jahre an die Öffentlichkeit gelangt ist. Zum ersten Mal erwähnt wird es im August 1976 in der sowjetischen Wochenzeitung «Visti z Ukraini» («Nachrichten aus der Ukraine»), in einem Artikel über Demjanjuks angebliche Vergangenheit als Henkersknecht der SS. Ein Jahr später, im September 1977, wenige Tage nachdem die amerikanischen Behörden Klage gegen John Demjanjuk erhoben hatten, legt die selbe Zeitung nach. Wieder ist von Demjanjuks Einsatz in Trawniki und Sobibor die Rede, wieder wird der vermeintliche Dienstausweis erwähnt. Diesmal aber belässt es das sowjetische Blatt nicht bei dem bloßen Hinweis. Diesmal wird das Schriftstück mit der Dienstnummer 1393 abgebildet, auf zwei Fotos.
    Die amerikanischen Ermittler betrachten die Veröffentlichung als Steilvorlage: Für sie scheint das Papier keinen Zweifel daran zu lassen, dass Demjanjuk mit den Nazis kollaboriert hat. Demjanjuks Anhängern und Anwälten hingegen war die Herkunft des Dokuments aus sowjetischen Archiven stets Beweis dafür, dass es sich dabei nur um eine Fälschung des KGB handeln könne, angefertigt, um den Ruf der ukrainischen Exil-Gemeinde in den USA insgesamt zu beschädigen.
    Über jeden Quadratmillimeter Papier des Ausweises ist seither leidenschaftlich gestritten worden, über Lochungen, einzelne Buchstaben und über die Bedeutung von Tintenspuren. Tatsächlich ist der Dienstausweis ein flüchtig gearbeitetes Dokument. Es ist schlecht gedruckt, und es gibt – sehr ungewöhnlich für ein Dokument einer deutschen Behörde – kein Ausstellungsdatum. Ungezählte Anwälte, Zeugen, Sachverständige haben sich im Laufe der Jahre über die Urkunde gebeugt, Experten des amerikanischen Geheimdienstes haben die Tinte analysiert, das Papier, die Schreibmaschinenfarbe. Wahrscheinlich sind nur wenige Dokumente der Rechtsgeschichte so intensiv untersucht worden wie der Dienstausweis von John Demjanjuk.
    Die meisten Fachleute, darunter Sachverständige aus Israel, Deutschland und den Vereinigten Staaten, haben das Dokument für authentisch erklärt. Aber es gab stets auch Gegenstimmen. Im Verfahren vor dem Bezirksgericht in Jerusalem etwa äußerte der von derVerteidigung geladene Zeuge Julius Grant, damals wohl einer der angesehensten Dokumentenexperten weltweit, erhebliche Zweifel an der Authentizität des Ausweises. Er halte es für «unwahrscheinlich», dass Demjanjuks Unterschrift auf dem Dienstausweis echt sei, erklärte Grant. Eine schwerwiegende Äußerung, immerhin hatte Grant mitgeholfen, die «Hitler-Tagebücher» als Fälschung zu entlarven. Auch ein Mitarbeiter des Wiesbadener Bundeskriminalamtes hat einmal die Auffassung vertreten, der Dienstausweis sei eine Fälschung; die Leitung der Behörde hat sich später sehr entschieden von dieser Einschätzung distanziert.
    Nun hat auch das Schwurgericht München einen Sachverständigen geladen. Am 14. April 2010 erscheint im Sitzungssaal A 101 Anton Dallmayer, 65 Jahre alt, Urkunden-Spezialist im bayerischen Landeskriminalamt.
    Dallmayer ist ein schlanker Mann, der ein wenig aussieht wie ein feinsinniger Handwerker, wie ein Instrumentenbauer vielleicht. Er trägt einen grauen Haarkranz, ein graues Polohemd und schwarze Cargo-Pants. Er spricht langsam, fast ein wenig schleppend, mit leichtem bayerischen Akzent. Sein ganzer Auftritt, seine betont nüchterne Ausdrucksweise stehen

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