Der Fall Demjanjuk
in deutlichem Gegensatz zu der Bedeutung seines Gutachtens. Für Demjanjuk geht es um die Freiheit. Für Dallmayer geht es um ein Stück Papier von «minderer Qualität, ohne optischen Aufheller, ohne Wasserzeichen».
Er habe, sagt Dallmayer, Anfang März den Auftrag erhalten, eine «vergleichende urkundentechnische Untersuchung» des Dienstausweises vorzunehmen. Gelassen und präzise trägt der Kriminaltechniker seine Ergebnisse vor. Der Ausweis sei ein Formular, das wie zu Gutenbergs Zeiten gedruckt worden sei, im Hochdruckverfahren. Fünf verschiedene Schriftarten seien dabei benutzt worden, die meisten Typen wiesen eine Fülle individueller Merkmale auf, einzelne Buchstaben seien beschädigt oder zeigten deutliche Gebrauchsspuren. Zum Ausfüllen des Formulars sei eine Typenhebelschreibmaschine Marke «Olympia Nr. 12» verwendet worden, die ab 1930 von der AEG in Erfurt hergestellt worden sei. Eine Zuordnung zu einer ganz bestimmten Schreibmaschine dieses Typs sei mit großer Wahrscheinlichkeit nicht möglich.
Die eingesetzten Tinten habe er nicht näher materialtechnischuntersucht, erklärt Dallmayer weiter, denn keines der darin enthaltenen Materialien – Wasser, Konservierungsmittel, Farbstoffe – lasse sich exakt datieren. Die verwendeten Stempel und Sigel trügen individuelle Merkmale, die sich nachträglich nur sehr schwer herstellen ließen. Das verwendete Foto von Iwan Demjanjuk sei zunächst eingeklebt und später mit zwei Heftklammern fixiert worden. Auffällig sei, dass die Stempelabdrucke auf dem Foto und dem Papier sich nicht exakt deckten, dass sie leicht verrutscht seien. Aber dafür, so der Sachverständige, gebe es eine einfache Erklärung: Das Foto sei einmal aus dem Ausweis herausgenommen worden und später wieder eingeklebt worden; wann oder von wem, das vermöge er nicht zu sagen.
Könne man das Foto theoretisch so drehen, dass die Stempelabdrucke auf dem Lichtbild mit denen auf dem Ausweis exakt zur Deckung kämen?, will der Vorsitzende Richter wissen. Ja, erwidert Dallmayer, er habe das mit einem Bildbearbeitungsprogramm überprüft, das sei möglich.
Schließlich habe er den Ausweis mit der Nummer 1393 mit drei weiteren Ausweisen aus Trawniki verglichen, die ihm vorgelegt worden seien. Und nach alledem komme er zu dem Ergebnis, fasst Dallmayer zusammen: «Der fragliche Dienstausweis ist als authentisch zu bewerten.» Es ist ein unmissverständlicher Satz.
Die vier Dokumente, die Dallmayer miteinander verglichen habe, die stammten alle von derselben Hand?, fragt der Vorsitzende Richter Alt.
«Ja», antwortet Dallmayer.
«Ohne dass Sie etwas über die Hand sagen können?»
«Ja.»
«Es könnte die Hand eines SS-Mannes sein oder die Hand eines KGB-Agenten in Moskau?»
«Ja.»
«Und wann sind diese Dokumente entstanden?»
Theoretisch könne das zu jedem Zeitpunkt nach 1930 geschehen sein, nachdem der Schreibmaschinentyp auf den Markt gekommen sei. Und wenn der Drucksatz für das Ausweisformular noch als Stehsatz existiere, «könnte man davon noch heute drucken».
Das Gericht hat keine weiteren Fragen.
Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch hingegen hat viele. Er ist angespannt, mehr noch als sonst. Dies ist einer der entscheidenden Momente des Verfahrens. Das Gutachten von Dallmayer bringt die Verteidigung in Bedrängnis. Busch muss dessen wichtigsten Satz, der Dienstausweis sei authentisch, zu erschüttern versuchen. Er muss ihn nicht unbedingt widerlegen. Aber wenn er nicht wenigstens ernste Zweifel anbringen kann, ist die Anklage einen entscheidenden Schritt weiter. Buschs Stoßrichtung wird nach einer Weile klar. Er versucht, was alle Anwälte Demjanjuks vor ihm versucht haben: den Ausweis als Produkt Moskauer Fälscher darzustellen. Bislang allerdings hatte noch keiner der Verteidiger Erfolg damit.
«Als Sie den Auftrag für das Gutachten bekamen», fragt Busch den Mann vom Landeskriminalamt, «wurde Ihnen da noch mehr Material zur Verfügung gestellt?»
«Ja, eine CD mit Vernehmungen von Sachverständigen aus dem amerikanischen Verfahren, außerdem weitere Ausweise aus Trawniki in Ablichtung, ohne weitere Erläuterung.»
«War da auch der Ausweis von Daniltschenko dabei?»
«Ja.»
«Haben Sie ihn mit dem Ausweis von Demjanjuk verglichen?»
«Worauf wollen Sie hinaus?», fragt Dallmayer in seinem bayerischen Tonfall.
Vielleicht passt Busch die Gegenfrage nicht, vielleicht will er auch nur Zeit gewinnen.
«Worauf wollen Sie hinaus?», ahmt er Dallmayers Dialekt nach.
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