Der Fall Demjanjuk
kann Busch kaum mehr an sich halten.
Es handele sich hier möglicherweise um eine dicke, fette KGB-Fälschung, aber dem werde gar nicht nachgegangen, ruft er mit hochrotem Gesicht. Es sei unglaublich, was in diesem Verfahren alles zu ermitteln unterlassen worden sei, schimpft er: «Hier werden drei falsche Dollarnoten mit einer vierten falschen Dollarnote verglichen, und dann wird behauptet, alle vier sind echt.»
Dass der Ausweis eine «dicke, fette KGB-Fälschung» sei, das war stets die Hauptverteidigungslinie aller Anwälte von Demjanjuk. Was, wenn sie Recht hätten? Könnte es nicht sein, dass ihr Mandant tatsächlich Opfer einer Moskauer Intrige geworden ist? Wenn man sich, nur für einen Moment, diesen Gedanken zu eigen macht, dann sähe die Geschichte wohl so aus: Irgendwann Mitte der siebziger Jahre muss jemand sehr Einflussreiches in der sowjetischen Führung beschlossen haben, die Exil-Ukrainer in den Vereinigten Staaten mit einer Kampagne zu überziehen. Vielleicht, um jedes zart aufkeimende Nationalbewusstsein in den ukrainischen Teilen des Sowjetimperiums zu unterdrücken, vielleicht, um den Einfluss der ukrainischen Community in den USA zu schwächen. Also wird John Demjanjuk zum Opfer erkoren. Hochtalentierte Fälscher mit enormen Ressourcen werden beauftragt, einen Trawniki-Dienstausweis zu fälschen, dazu Versetzungslisten, die Demjanjuks Einsatz in Sobibor belegen. Zudem wird ein Mann namens Daniltschenko gezwungen, Demjanjuk in fiktiven Aussagen zu belasten – wenn nicht dieser Daniltschenko überhaupt bloß eine Erfindung ist. Schließlich wird der moskautreue US-Journalist Michael Hanusiak gewonnen, die belastenden Informationen über Demjanjuk tröpfchenweise, wie ein schleichendes Gift, in das amerikanische Justizsystem zu träufeln, durch Artikel, durch sein Buch, durch die Listen, die er an Abgeordnete in Washington schickt. Und dann muss Moskau nur noch zuschauen, wie Demjanjuks bürgerliche Existenz nach und nach zerbricht.
Diese Theorie von der großen Moskauer Verschwörung, die so oder so ähnlich von vielen Demjanjuk-Unterstützern geteilt wurde, hat seinisraelischer Anwalt Sheftel in einem Interview einmal einprägsam zusammengefasst: «Mit der Demjanjuk-Affäre wollten die Sowjets die jüdischen und die ukrainischen Gemeinden in Nordamerika spalten, die bis Mitte der siebziger Jahre bei verschiedenen antisowjetischen Aktivitäten eng zusammengearbeitet hatten – jede im eigenen Interesse. Der beste Beweis dafür ist, dass die ganze Sache von Michael Hanusiak in Gang gesetzt wurde, dem Herausgeber einer kommunistischen ukrainischen Zeitung in New York. Hanusiak ist auch der Autor des Buches ‹Lest We Forget›, in dem er Anfang der siebziger Jahre vor der, ich zitiere: ‹gefährlichen Kollaboration zwischen ukrainischen Reaktionären und zionistischen Reaktionären gegen die Sowjetunion› gewarnt hatte. Diese Zusammenarbeit müsse beendet werden, forderte er. Und er hat sie beendet. Was das angeht, waren die Sowjets sehr erfolgreich.»
Es gehört zum Wesen von Verschwörungstheorien, dass sie sich nicht widerlegen lassen. Könnte es so gewesen sein, wie Demjanjuks Unterstützer behaupten? Undenkbar ist es jedenfalls nicht. Aber ist es auch plausibel? Das ist die entscheidende Kontrollfrage. Ist es plausibel, dass irgendwelche finsteren Kräfte in Moskau auf die Idee kommen, einen sechzigjährigen Exil-Ukrainer in Amerika zum Opfer einer internationalen Verleumdungskampagne zu machen? Und warum, um alles in der Welt, sollten sich die Sowjets für ein derart aufwendiges Komplott ausgerechnet einen völlig unbekannten Fabrikarbeiter aus Cleveland aussuchen? Hätte es nicht andere Männer gegeben, deren öffentliche Demontage durch falsche Verdächtigungen der ukrainischen Gemeinde in den USA noch weitaus mehr geschadet hätte, Politiker, Juristen oder prominente Geschäftsleute zum Beispiel?
Aber selbst wenn man annimmt, irgendein KGB-General habe sich eben Demjanjuk auserkoren, vielleicht gerade weil er so unauffällig und durchschnittlich war – warum dann nicht, so hat Gitta Sereny in ihrem Essays über den Fall Demjanjuk zu Recht gefragt, warum dann nicht ins Volle gehen, warum dann bei Sobibor haltmachen? Warum nicht den Verdacht fördern, Demjanjuk sei Iwan der Schreckliche gewesen, der Berserker von Treblinka?
Als zum ersten Mal Hinweise aus sowjetischen Quellen auf Demjanjuks Dienstausweis publik wurden, da war ja schon bekannt, dass mehrere israelische Zeugen
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