Der Fall des Lemming
sein.»
«Ich bitte Sie! Wollen S’ mir etwa einreden … so ein Blödsinn! Als ob der Neumann wegen der Lipizzaner nach Wien gekommen wär!»
«Dann zeig ich Ihnen einmal was … hoffentlich …»
Der Lemming hat Huber vor sich her in die Bauernstube geschoben. Aber der Tisch war abgeräumt, Nickelbrille und Brief verschwunden.
«Verdammt! So ein blöder … Also jetzt hören S’ mir einmal zu, Huber: Immerhin ist der Grinzinger auch ein bissel … meine Leiche. Also, was sollt ich davon haben, den Neumann zu decken? Ein Freibier in Triest? Ich kenn ihn doch erst seit gestern. Aber er war’s trotzdem nicht, das können S’ mir glauben! Der Neumann hat nämlich auch so ein Schreiben bekommen, mit Grinzingers Unterschrift. Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen!
Verstehen Sie, Huber, der Neumann ist selber auf den Kahlenberg bestellt worden!»
«Ach, und wer ist es dann gewesen? Und wer hat den Pribil auf dem Gewissen? Geh, hören S’ mir auf, Wallisch, mit Ihren komischen Geschichten … Sagen S’ mir lieber, wo die zwei stecken, der Neumann und der Breitner …»
Da hat der Lemming ärgerlich mit den Achseln gezuckt. «Was weiß ich? Fragen S’ doch seine Schwester …»
Und sie sind zurück in den Ordinationsraum gegangen.
«Keine Ahnung», sagt Klara Breitner. Sie öffnet die Haustür, tritt in den Garten, blickt auf die Straße hinaus. «Jedenfalls haben die beiden das Auto genommen …»
Auto, denkt der Lemming, Auto …
«Welche Marke? Welche Nummer?»
Hubers Frage bleibt unbeantwortet. Klara starrt nachdenklich zu einem alten Kirschbaum hinüber und setzt sich in Bewegung. Um ihre Beine sprüht der Morgentau in glitzernden Fontänen. Sie steuert auf den Baum zu, umkreist den Stamm, streckt sich auf Zehenspitzen in die Höhe, betastet die Rinde. Dann kommt sie zurück, ein Lächeln um den Mund und ein kleines Stück Papier in der Hand.
«Ein Astloch», sagt sie. «Als wir noch Kinder waren, der Max und ich, da haben wir uns manchmal kleine Hinweise gegeben, wenn wir Räuber und Gendarm gespielt haben …»
Sie faltet den Zettel auseinander, überfliegt ihn stirnrunzelnd und reicht ihn an den Lemming weiter. Es stehen nur zwei Worte darauf, aber die versetzen ihn in helle Aufregung.
Heureka!, liest der Lemming. Und: Banzai!
«Scheiße! Scheiße! Es muss ihm … Klara, es muss ihm eingefallen sein, verstehst … verstehen Sie? Wem er begegnet ist, damals im Park! Huber, Sie sind doch mit dem Wagen gekommen?»
«Sicher …»
«Dann nichts wie los! Wenn das kein Unglück gibt …»
«Und wohin, wenn ich fragen darf?»
Ja, wohin eigentlich …?, überlegt der Lemming. Gestern Nacht wollte er noch Briefe schreiben, anonyme Briefe an Neumanns ehemalige Mitschüler; er wollte den Mörder mit seinen eigenen Waffen schlagen, ihn listig aus der Reserve locken, um ihm mit der kaltblütigen Geste des Meisterdetektivs die Maske vom Gesicht zu reißen. Sherlock Holmes und Hercule Poirot wären verblasst gegen ihn, Leopold Wallisch, man hätte Bücher über ihn verfasst, Filme über ihn gedreht. Und Klara … Wie gerne hätte er Klara mit gelassenem Scharfsinn und gütiger Überlegenheit imponiert … Dafür bleibt nun keine Zeit mehr.
Auto , denkt er, Auto und Banzai . In seinem Hinterkopf verflechten sich die zwei Begriffe, beginnen zu brodeln, zu kochen, miteinander zu reagieren wie chemische Substanzen, schaffen neue Verbindungen. Er lässt die vergangenen Tage Revue passieren, seinen Besuch bei Nora Grinzinger, Kropils Konzert in Kalksburg, das Erlebnis in Söhnleins Hotel, die Gespräche mit Sedlak und Steinhauser, mit Olaf und Doktor Kelemen, Neumann und Max Breitner. Auto und Banzai . Und Peter Pribil …
Dann fällt es ihm wie Schuppen von den Augen.
Der Lemming stürzt ins Haus der Klara Breitner, und noch im Laufen ruft er Huber zu: «Die Autos! Checken S’ die Farben von den Autos!»
Gruppeninspektor Huber versteht kein Wort.
«Was?», wendet er sich an Klara. «Was will er?»
«Die Autos, verdammt!» Schon ist der Lemming wieder da. Und er hält Krotznigs Mobiltelefon in der Hand.
«Fangen S’ beim Söhnlein an! Ich fress einen Besen, wenn der nicht …»
Verständnislose Blicke.
«Jetzt passen S’ einmal auf …» Der Lemming ergreift den Gürtel von Hubers Trenchcoat und zieht ihn ganz nahe an sich heran.
«Der Neumann war’s nicht, kapiert? Und wenn Sie noch einen Mord verhindern wollen, dann setzen S’ jetzt Ihren Arsch in Bewegung und fragen Ihren
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