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Der Fall des Lemming

Der Fall des Lemming

Titel: Der Fall des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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eine Feder.
    «Herr Bezirks … was … ich verstehe nicht …»
    «Gusch, Huber …»
    «Aber … es gibt Grenzen, Herr Bezirksinspektor … Ich muss … selbst als Ihr Unterge …»
    Er taumelt zurück. Von Krotznigs Faust hart unter dem Auge getroffen, poltert er gegen den Türrahmen und sinkt zu Boden. Ein Schatten senkt sich auf Huber, und es ist nicht der Schatten seiner Ohnmacht. Etwas streicht riesenhaft über ihn weg, durchschneidet den Raum in lautlosem Flug und prallt gegen Krotznigs Brust. Ein gellender Schrei, ein Blitz, ein kurzer, trockener Knall. Krotznig schlägt dumpf auf dem Boden auf, über sich die reißende Bestie, Castro, dessen Zähne sich durch seinen Mantel bohren, sich tief in seine Schulter schlagen. Krotznig brüllt wie am Spieß; seine Arme und Beine rudern hilflos durch die Luft wie die einer umgedrehten Schildkröte. Die Pistole ist ihm aus der Hand gefallen und unter das Bett gerutscht; da liegt sie nun, ganz klein, ganz unbedeutend, und eine dünne, weiße Rauchfahne entsteigt ihrem Lauf, während kaum drei Meter entfernt aus ledernem Ärmel das Blut aufs Parkett läuft.
    Schwer zu sagen, wie lange Krotznig bei Bewusstsein bleibt, schwer zu sagen, wann seine Glieder erschlaffen, wann sein Gebrüll erstirbt und nur noch das Splittern der Knochen, das geifernde Knurren des Leonbergers zu hören ist.
    «Castro», murmelt Klara Breitner irgendwann. Und dann etwas lauter: «Castro! Aus, Castro!»
    Der Lemming ist längst aus ihr geglitten; nun gleitet sie von ihm hinunter und schlingt sich wie in Trance die Decke um den Leib, während der Hund von seinem Opfer ablässt und mit wedelndem Schwanz auf sie zutänzelt.
    «Ich bin im Bad.» Klara geht zur Tür, steigt über den reglosen Huber hinweg und verlässt, von Castro gefolgt, das Zimmer.
    Nach dem Sturm herrscht Ruhe, herrscht Leere im Kopf. Vor dem Fenster hat die Blaumeise wieder zu singen begonnen. Die Sonne steigt höher, wärmt den Körper des Lemming, fällt schillernd auf den blutverschmierten Boden. Ein herrlicher  Tag hebt an, ein Tag zum Heldenzeugen, wie es so heißt …
    Der Lemming steht auf. Bückt sich und fischt die Pistole unter dem Bett hervor. Kriecht dann auf allen vieren zu Krotznig hin. Er verspürt keinen Zorn. Er will nur ein Ende finden, endlich ein Ende, ein für alle Mal. Einfach so, ohne Wut. Einfach Schluss machen. Den Lauf zwischen Krotznigs geschlossene Augen pressen, den Finger auf den Abzug legen und mit einer beiläufigen, ja belanglosen Bewegung … Kaum mehr als ein schlichter physikalischer Vorgang, eine kleine Explosion, ein kurzer Überdruck, in kinetische Energie verwandelt, und das Härtere wird das Weichere durchdringen, wird den Verrat und den Hass, die Gewalt und die Dummheit dieses Mannes für immer von der Erde tilgen. Es wird nicht länger als den Bruchteil einer Sekunde dauern. Eine winzige Krümmung, ein kurzer Knall, ein kleines Loch in diesem Kopf, und alles wird gut sein.
    «Nicht, Wallisch … Tun Sie’s nicht …»
    «Gusch, Huber», hört sich der Lemming sagen.
    «Sie stürzen sich selbst ins Unglück …»
    «Hast du g’hört, Huber? Gusch!»
    «Sie werden … den Boden ruinieren …»
    Ein seltsames Argument. So seltsam und zugleich so wahr, dass sich der Lemming irritiert umwendet. Huber lehnt in gebeugter Haltung am Türstock und nestelt in seinen Taschen; endlich holt er ein Paar Handschellen hervor.
    «Bleib, wo du bist, Huber, ich warne dich!»
    Der andere reagiert nicht. Er wankt benommen auf den Lemming zu und zieht ihn von Krotznig weg. Ein Klicken, das Metall rastet ein, und Krotznigs Hände sind gefesselt.
    «Gut so …»
    Huber richtet sich langsam auf. Steht nun breitbeinig über seinem ohnmächtigen Kollegen.
    «Dreckiges … Schwein … beschissene Drecksau … Drecksau!»
    Einmal, zweimal fährt Hubers Absatz nieder, stampft dem Leblosen ins Gesicht, hebt sich für einen weiteren Tritt. Doch nun ist es der Lemming, der dazwischenspringt. Er reißt Huber zur Seite und wirft ihn aufs Bett.
    «Bist du … sind Sie wahnsinnig? Er hat genug! Genug!»
    Aber Huber hat noch nicht genug.
    «Drecksau», keucht er immer noch, «Drecksau …» Und er beginnt, vom nackten Lemming in den Armen gehalten, zu weinen.

22 
    «Halb so schlimm.»
    Klara Breitner wirft die Spritze in den Abfalleimer und streift die Handschuhe ab.
    «Das Schlüsselbein. Ein glatter Bruch … na ja, relativ glatt. Komm her, Castro … guter Hund …»
    «Und weiter?», fragt

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