Der Fall (German Edition)
ist, ein Geheimnis mit in den Schlaf zu nehmen. In gewissem Sinn glaubte ich übrigens selber, was ich sagte, ich ging ganz in meiner Rolle auf. Was Wunder, dass meine Partnerinnen die ihre ebenfalls mit feuriger Begeisterung spielten! Die empfindsamsten unter meinen Freundinnen bemühten sich, mich zu verstehen, und dieses Bemühen umgab ihre Kapitulation mit einem Anhauch von Melancholie. Die anderen stellten befriedigt fest, dass ich mich an die Spielregeln hielt und so viel Zartgefühl besaß, erst zu reden und dann zu handeln, und gingen ungesäumt zu den Tatsachen über. Dann hatte ich gewonnen, und zwar zwiefach, da ich nicht nur mein Verlangen, sondern auch meine Eigenliebe befriedigte, indem ich meine so wunderbar unwiderstehliche Macht jedes Mal neu unter Beweis stellte.
So sehr, dass ich sogar in den Fällen, in denen mir nur eine mittelmäßige Lust zuteil wurde, doch von Zeit zu Zeit die Verbindung wiederaufzunehmen trachtete. Mitbestimmend war dabei ohne Zweifel jenes eigenartige Verlangen, das eine nach langer Trennung unvermittelt wiederentdeckte Gemeinsamkeit schürt, indessen zugleich der Wunsch, mich zu vergewissern, dass die Bande zwischen uns sich nicht gelöst hatten und dass es in meinem Belieben stand, sie wieder enger zu knüpfen. Um meine diesbezüglichen Besorgnisse ein für alle Mal zu zerstreuen, ging ich manchmal sogar so weit, meine Freundinnen schwören zu lassen, dass sie keinem anderen Mann angehören würden. Das Herz jedoch hatte keinen Teil an dieser Befürchtung, ja nicht einmal die Phantasie. Ich war nämlich von so eingefleischter Überheblichkeit, dass ich mir trotz dem augenfälligen Beweis des Gegenteils nur mit Mühe vorzustellen vermochte, eine Frau, die ich besessen hatte, könne je einem anderen angehören. Aber der Treueschwur, den sie mir leisteten, gab mir die Freiheit zurück, indem er sie band. Sobald ausgesprochen war, dass sie mir die Treue halten würden, konnte ich mich zum Bruch entschließen, was mir andernfalls beinahe immer unmöglich war. In solchen Fällen war die Nachprüfung ein für alle Mal vollzogen und meine Macht auf lange Zeit hinaus gesichert. Sonderbar, nicht wahr? Und doch ist dem so, Verehrtester. Die einen flehen: «Hab mich lieb!» Die anderen: «Hab mich nicht lieb!» Aber ein bestimmter Schlag, der zugleich schlimmste und unglücklichste, verlangt: «Hab mich nicht lieb und bleib mir treu!»
Nun ist aber die Nachprüfung nie endgültig, man muss sie bei jedem Menschen neu beginnen. Und wenn man dies oft genug tut, legt man sich Gewohnheiten zu. Bald fließt einem die Rede gedankenlos von den Lippen, der Reflex stellt sich ein, und eines schönen Tages ist man so weit, dass man nimmt, ohne wirklich zu begehren. Glauben Sie mir, es gibt nichts Schwierigeres auf der Welt, zumindest für gewisse Menschen, als nicht zu nehmen, was man nicht begehrt.
Eines Tages trat dieser Fall ein. Es hat keinen Zweck, Ihnen den Namen der Frau zu nennen, es sei höchstens erwähnt, dass sie mich, ohne mich wirklich zu verwirren, durch ihre passive und lüsterne Art angezogen hatte. Offen gesagt, es war, wie nicht anders zu erwarten stand, ein mäßiges Vergnügen. Aber ich habe nie an Komplexen gelitten und vergaß die Betreffende bald, zumal ich ihr auch nicht mehr begegnete. Ich dachte, ihr sei nichts aufgefallen; ich vermochte mir nicht einmal vorzustellen, dass sie überhaupt ein Urteil haben könne. Überdies trennte ihre Passivität sie in meinen Augen von der Welt. Ein paar Wochen später erfuhr ich jedoch, dass sie mein Ungenügen einer Drittperson verraten hatte. Im ersten Augenblick hatte ich das Gefühl, irgendwie hintergangen worden zu sein; sie war also gar nicht so passiv, wie ich glaubte, und ermangelte nicht des eigenen Urteils. Dann zuckte ich die Achseln und gab vor, darüber zu lachen. Ich lachte sogar wirklich darüber; es war ja klar, dass dieser Zwischenfall völlig belanglos war. Wenn es überhaupt ein Gebiet gibt, auf dem Bescheidenheit die Regel sein sollte, dann doch gewiss das Geschlechtsleben mit all seinen Zufälligkeiten. Mitnichten! Jeder sucht sich selbst in ein möglichst vorteilhaftes Licht zu setzen, sogar wenn er mit sich allein ist. Und welches war denn auch trotz meines Achselzuckens mein Verhalten? Einige Zeit danach sah ich jene Frau wieder; ich tat alles, um sie zu verführen und wirklich zu besitzen. Es war nicht besonders schwierig: Auch die Frauen lieben es nicht, ein Fiasko auf sich beruhen zu lassen. Von diesem
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