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Der Fall (German Edition)

Der Fall (German Edition)

Titel: Der Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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elf im Mexico-City. Wie bitte? Jene Frau? Ach, ich weiß nicht, wirklich, ich weiß es nicht. Weder am nächsten noch an den folgenden Tagen habe ich die Zeitung gelesen.

 
     
    Ein Puppendorf, finden Sie nicht auch? Kein malerischer Zug ist ihm erspart geblieben! Aber nicht des Pittoresken wegen habe ich Sie auf diese Insel geführt, verehrter Freund. Hauben, Holzschuhe, schmucke Häuser, wo die Fischer feinen Tabak in den Geruch von Bohnerwachs hineinschmauchen – das kann ein jeder Ihrer Bewunderung vorführen. Ich hingegen gehöre zu den wenigen, die Ihnen zeigen können, was hier von Wichtigkeit ist.
    Nun kommen wir zum Deich. Wir müssen ihn entlanggehen, um uns möglichst weit von diesen allzu niedlichen Häuschen zu entfernen. Wenn es Ihnen recht ist, wollen wir uns setzen. Was sagen Sie dazu? Können Sie sich eine schönere negative Landschaft vorstellen? Schauen Sie: zur Linken ein Aschenhaufen, den man hierzulande eine Düne nennt, zur Rechten der graue Deich, zu unseren Füßen der fahle Strand und vor uns das Meer von der Farbe einer dünnen Lauge und der weite Himmel, in dem sich das bleiche Wasser spiegelt. Wahrlich eine gallertartige Hölle! Lauter waagrechte Linien, keinerlei Glanz, der Raum ist farblos, das Leben tot. Ist dies nicht die alles erfassende Auflösung, das sichtbar gewordene Nichts? Keine Menschen, vor allem keine Menschen! Nur Sie und ich angesichts des endlich von allen Lebewesen befreiten Planeten! Der Himmel lebt? Sie haben recht, verehrter Freund. Er verdichtet sich und tut sich wieder auf, öffnet Lufttreppen und schließt Wolkentore. Das sind die Tauben. Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass in Holland der Himmel von Millionen Tauben bevölkert ist? Sie fliegen so hoch, dass sie unsichtbar bleiben, sie schlagen mit den Flügeln, sie schwingen sich im gleichen Rhythmus aufwärts und abwärts und erfüllen den Himmelsraum mit dicken Schwaden grauer Federn, die vom Wind fortgetragen oder hergeweht werden. Die Tauben warten dort oben, sie warten das ganze Jahr. Sie schweben über der Erde, schauen herunter und möchten herabfahren. Aber da ist nichts als die See und die Kanäle, die schilderbewehrten Dächer und kein Haupt, auf dem sie sich niederlassen könnten.
    Sie verstehen nicht, was ich meine? Ich muss bekennen, dass ich sehr müde bin. Ich verliere den Faden meiner Rede, mein Geist besitzt jene Klarheit nicht mehr, die meine Freunde so hoch zu rühmen liebten. Meine Freunde sage ich übrigens dem Grundsatz zuliebe. Ich habe keine Freunde mehr, ich habe nur noch Komplicen. Dafür hat ihre Zahl zugenommen, sie umfasst das ganze Geschlecht der Menschen. Und unter den Menschen kommen Sie an erster Stelle. Der just Anwesende kommt immer an erster Stelle. Woher ich weiß, dass ich keine Freunde habe? Sehr einfach: Das habe ich an dem Tag entdeckt, da ich mich umzubringen gedachte, um ihnen einen Streich zu spielen, um sie gewissermaßen zu strafen. Aber wen zu strafen? Ein paar wären überrascht gewesen, doch niemand hätte sich gestraft gefühlt. Da habe ich begriffen, dass ich keine Freunde hatte. Doch selbst wenn ich welche gehabt hätte, das hätte mir nicht weitergeholfen. Wenn ich hätte Selbstmord begehen und dann ihr Gesicht sehen können, ja, dann hätte es sich gelohnt. Aber das Erdreich ist finster, verehrter Freund, das Holz dick und undurchsichtig das Leichentuch. Die Augen der Seele? Ja, zweifellos, wenn es eine Seele gibt und wenn sie Augen hat. Aber eben, das weiß man nicht sicher, nie ist man sicher. Sonst gäbe es ja einen Ausweg, und man könnte dafür sorgen, dass man endlich ernst genommen wird. Die Menschen werden erst durch unseren Tod von unseren Gründen, unserer Aufrichtigkeit und der Tiefe unseres Kummers überzeugt. Solange man lebt, ist man suspekt und hat nur Anrecht auf ihre Skepsis. Wenn es daher eine einzige Gewissheit gäbe, dass man das Schauspiel genießen kann, würde es sich lohnen, ihnen zu beweisen, was sie nicht glauben wollen, und sie in Erstaunen zu versetzen. Aber da bringt man sich um, und was nützt es, ob sie einem Glauben schenken oder nicht: Man ist ja nicht da, um ihre Verwunderung und ihre – übrigens flüchtige – Zerknirschung mit anzusehen und dann schließlich, den Wunschtraum eines jeden Menschen verwirklichend, dem eigenen Begräbnis beizuwohnen. Um aufzuhören, suspekt zu sein, muss man schlankweg aufhören, zu sein.
    Ist es übrigens nicht besser so? Wir würden zu sehr unter ihrer Gleichgültigkeit leiden. «Das wirst

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