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Der Fall (German Edition)

Der Fall (German Edition)

Titel: Der Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Augenblick an begann ich, ohne es bewusst zu wollen, sie auf alle möglichen Weisen zu demütigen. Ich stieß sie von mir und nahm sie wieder, ich zwang sie, sich mir zuzeiten und an Orten hinzugeben, die sich nicht dazu eigneten, ich behandelte sie in allen Dingen mit solcher Rücksichtslosigkeit, dass ich schließlich an ihr hing, wie etwa ein Kerkermeister an seinem Sträfling hängen mag. So ging das fort bis zu dem Tag, da sie im wilden Aufruhr einer schmerzlichen und erzwungenen Lust laut und deutlich dem huldigte, was sie unterjochte. An diesem Tag begann ich, mich von ihr zu lösen. Seitdem habe ich sie vergessen.
    Ich will Ihnen trotz Ihres höflichen Schweigens gerne zugestehen, dass dieses Abenteuer nicht eben ein Ruhmesblatt darstellt. Überdenken Sie jedoch Ihr eigenes Leben, Verehrtester! Forschen Sie in Ihrem Gedächtnis, vielleicht stoßen Sie auf eine ähnliche Geschichte, die Sie mir später einmal erzählen. Nun, als dieses Erlebnis mir wieder einfiel, fing ich neuerlich an zu lachen. Aber es war ein anderes Lachen, jenem ähnlich, das ich auf dem pont des Arts gehört hatte. Ich lachte über meine Reden und meine Plädoyers. Nebenbei gesagt, mehr noch über meine Plädoyers als über meine Reden an die Frauen. Denen log ich wenigstens nicht viel vor. Der Instinkt sprach deutlich und ohne Winkelzüge aus meiner Haltung. Der Liebesakt zum Beispiel ist ein Geständnis. Hier tritt der Egoismus schreiend zutage, hier feiert die Eitelkeit Triumphe, oder aber es enthüllt sich die wahre Großmut. Letzten Endes war ich in dieser betrüblichen Geschichte freimütiger gewesen als ich glaubte, so freimütig wie noch in keiner anderen Liebschaft, ich hatte Farbe bekannt und gezeigt, welches Leben zu führen ich fähig war. Allem Anschein zum Trotz besaß ich also in meinem Privatleben, sogar – oder gerade – wenn ich mich so betrug, wie ich es Ihnen geschildert habe, doch noch mehr Würde als in meinen großartigen beruflichen Ergüssen über Unschuld und Gerechtigkeit. Wenn ich sah, wie ich mit den Menschen umsprang, konnte ich mich wenigstens nicht über mein wahres Wesen täuschen. In seiner Lust ist kein Mensch verlogen – habe ich das irgendwo gelesen oder selbst gedacht, Verehrtester?
    Wenn ich so überlegte, welche Schwierigkeit mir die endgültige Trennung von einer Frau bereitete, ein Umstand, der mich zu so vielen gleichzeitigen Liebschaften führte, suchte ich die Schuld nicht in der Zärtlichkeit meines Herzens. Nicht sie trieb mich zum Handeln, wenn eine meiner Freundinnen es müde wurde, auf das Austerlitz unserer Leidenschaft zu warten, und Miene machte, sich zurückzuziehen. Augenblicklich war ich es, der einen Schritt vorwärts tat, Zugeständnisse machte, Beredsamkeit entfaltete. In ihnen erweckte ich die Zärtlichkeit und die süße Schwäche des Herzens, während ich selbst nur deren Abklatsch empfand, einzig durch ihre Absage ein wenig erregt und auch von der Möglichkeit erschreckt, eine Zuneigung zu verlieren. Zuweilen glaubte ich sogar, wahrhaft zu leiden. Es genügte indessen, dass die Widerspenstige mich wirklich verließ – und schon vergaß ich sie mühelos, wie ich sie auch an meiner Seite vergaß, wenn sie sich im Gegenteil dazu entschlossen hatte, zu mir zurückzukehren. Nein, es war weder die Liebe noch die Großmut, die mich wachrüttelte, wenn ich Gefahr lief, verlassen zu werden: Es war einzig der Wunsch, geliebt zu sein und zu erhalten, was mir meiner Meinung nach gebührte. Sobald ich geliebt wurde und meine Gefährtin wieder vergessen hatte, glänzte ich vor Zufriedenheit, zeigte mich von meiner besten Seite und wurde sympathisch.
    Wohlgemerkt: Diese Zuneigung empfand ich als Last, sobald ich sie zurückgewonnen hatte. In Augenblicken der Gereiztheit sagte ich mir dann wohl, es wäre das Beste, die betreffende Person stürbe. Dieser Tod hätte einerseits unserer Beziehung Endgültigkeit verliehen und ihr andererseits jeden Zwang genommen. Aber man kann nicht allen Leuten den Tod wünschen und zu guter Letzt die ganze Erde entvölkern, um eine anders nicht ausdenkbare Freiheit zu genießen. Meine Empfindsamkeit empörte sich dagegen, und auch meine Liebe zu den Menschen.
    Das einzige echte Gefühl, das ich mitunter bei diesen Liebeleien empfand, war Dankbarkeit, wenn alles gut ging und man mir nicht nur meinen Frieden ließ, sondern zugleich völlige Bewegungsfreiheit; und nie war ich netter und fröhlicher mit einer Frau, als wenn ich eben aus dem Bett einer anderen

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