Der Fall (German Edition)
treiben, ich werde ja lyrisch! Werfen Sie mir ein Haltetau zu, mein Lieber, ich bitte Sie darum!
Kennen Sie übrigens Griechenland? Nein? Umso besser. Was hätten wir dort schon zu suchen? Wir müssten reinen Herzens sein. Wissen Sie, dass dort die Freunde Hand in Hand selbander durch die Straßen spazieren? Ja, die Frauen bleiben zu Hause, dafür sieht man reife, achtunggebietende, schnauzbärtige Männer paarweise in ernsthaftem Gespräch die Gehsteige auf und ab wandeln, ihre Finger mit denen des Freundes verschlungen. Im Orient auch zuweilen? Mag sein. Aber sagen Sie mir, würden Sie mir in den Straßen von Paris die Hand geben? Das kann mein Ernst nicht sein! Wir wissen uns zu benehmen, nicht wahr, der Dreck verleiht uns Haltung. Bevor wir uns auf den griechischen Inseln zeigen dürften, müssten wir uns gründlich waschen. Dort ist die Luft keusch, die See und die Lust sind lauter. Wir aber …
Setzen wir uns auf diese Deckstühle. Welch ein Dunst! Ich war, glaube ich, auf dem Weg des Un-Gemachs stehengeblieben. Ich sage Ihnen gleich, was das heißt. Nachdem ich mich vergeblich gewehrt, alle Trümpfe meiner Überheblichkeit ausgespielt hatte, beschloss ich, entmutigt durch die Nutzlosigkeit meiner Anstrengungen, mich aus der Gesellschaft der Menschen zurückzuziehen. Ach nein, ich habe nicht nach einer verlassenen Insel gesucht, es gibt keine mehr. Ich habe mich bloß zu den Frauen geflüchtet. Sie wissen ja, dass die Frauen keine Schwäche wirklich verdammen; eher würden sie versuchen, unsere Kräfte zu demütigen oder zu untergraben. Darum ist die Frau nicht die Belohnung des Kriegers, sondern des Verbrechers. Sie ist sein Zufluchtsort, sein Port, im Bett der Frau wird er am häufigsten verhaftet. Ist sie nicht das Einzige, was uns vom irdischen Paradies verbleibt? In meiner Ratlosigkeit suchte ich also eilends meinen naturgegebenen Hafen auf. Ich hielt freilich keine Reden mehr. Aus alter Gewohnheit spielte ich noch ein wenig, doch mangelte es mir an Erfindungsgabe. Ich habe Hemmungen, es zu bekennen, weil ich wohl nochmals ein paar unflätige Worte gebrauchen muss: Mir scheint in der Tat, dass ich zu jener Zeit ein Bedürfnis nach Liebe verspürte. Obszön, nicht wahr? Jedenfalls fühlte ich einen dumpfen Schmerz, ein Darben, das eine gewisse Leere schuf in meinem Innern und mir erlaubte, halb aus Zwang und halb aus Neugier ein paar Bindungen einzugehen. Da ich das Bedürfnis hatte, zu lieben und geliebt zu werden, wähnte ich, verliebt zu sein. Anders gesagt, ich machte mich zum Narren.
Ich überraschte mich oft dabei, wie ich eine Frage stellte, die ich als Mann von Erfahrung bisher stets vermieden hatte. Ich hörte mich fragen: «Liebst du mich?» Sie wissen, dass man in einem solchen Fall gewöhnlich zurückfragt: «Und du?» Wenn ich bejahte, band ich mich über meine wahren Gefühle hinaus. Wenn ich nein zu sagen wagte, lief ich Gefahr, nicht mehr geliebt zu werden, und das ging mir nahe. Je mehr das Gefühl, von dem ich Ruhe erhofft hatte, dann gefährdet war, desto eindringlicher forderte ich es von meiner Freundin. So kam ich dazu, immer eindeutigere Beteuerungen abzugeben und von meinem Herzen ein immer umfassenderes Gefühl zu verlangen. Ich entbrannte denn auch in unechter Leidenschaft zu einem reizenden Gänschen, das die sentimentalen Frauenblättchen so gründlich gelesen hatte, dass es mit der Sicherheit und der Überzeugung eines die klassenlose Gesellschaft verkündenden Intellektuellen von der Liebe sprach. Sie wissen, dass eine solche Überzeugung etwas Ansteckendes hat. Ich begann versuchsweise ebenfalls von der Liebe zu sprechen, und überzeugte mich schließlich selber. Bis zu dem Augenblick wenigstens, da sie meine Geliebte wurde und ich begriff, dass die Frauenblättchen ihre Leserinnen zwar lehrten, von der Liebe zu sprechen, im praktischen Unterricht jedoch versagten. So musste ich denn, nachdem ich einen Papageien geliebt hatte, mit einer Schlange schlafen. Nun suchte ich die von den Büchern versprochene Liebe, der ich im Leben noch nie begegnet war, eben anderswo.
Aber es fehlte mir an Übung. Über dreißig Jahre lang hatte ich ausschließlich mich selbst geliebt. Wie konnte ich da hoffen, eine solche Gewohnheit abzulegen? Ich legte sie auch wirklich nicht ab und ließ es bei flüchtigen Ansätzen zu Leidenschaft bewenden. Der Versprechen gab ich immer mehr. Ich hatte zur gleichen Zeit mehr als eine Liebe, so wie ich ehedem mehr als eine Liebschaft gehabt hatte. Das
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