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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Unschuld liefern, nämlich daß er keinen Mord begangen, sondern durch die Brutalität seines Vaters, eines unheilbaren Säufers, von dem er ja auch im Suff gezeugt worden, ins äußerste Elend geraten sei und den Wachtmeister damals in der Winternacht nur um Zigaretten angebettelt, worauf der eine Bewegung in die Tasche nach seinem Revolver gemacht, da habe er, Hiß, aus Angst, erschossen zu werden, selber geschossen. Das könne man doch nicht Mord nennen, dafür könne man nicht lebenslänglich eingesperrt werden, es sei Notwehr gewesen, nichts anderes. Leider habe sich ein Aschaffenburger Rechtsanwalt gefunden, fuhr Pauli kopfschüttelnd fort, der sich der Sache dieses Lügners und Heuchlers als einer gerechten Sache angenommen und seitdem immerfort um Konferenzen mit seinem Klienten nachsuche und das Gericht mit Wiederaufnahmeanträgen überschwemme. »Sie werden ihn ja sehen, Herr Baron«, schloß der Vorsteher. »Wir haben ihm vor drei Tagen die Einzelzelle bewilligt, um die er gebeten hat, damit er schreiben könne, er hat Papier, Feder und Tinte erhalten, aber bis zur jetzigen Stunde hat er nicht eine Silbe geschrieben. So einer ist das.« Er sandte einen Blick zu dem Schreiber hinüber, der verstand sogleich, zog ein blaues Heft aus einer Lade und reichte es Pauli. Auf dem ovalen Schild war zu lesen: Meine Jugenderinnerungen. »Das hat er in Dietz verfaßt«, sagte der Vorsteher und gab Herrn von Andergast das Heft, der es aufschlug und eine Weile darin blätterte. Die eiligen gewandten Schriftzüge ließen auf einen Handelsangestellten schließen, im Stil wechselte eine unleidliche, tränenselige Geschwollenheit mit prahlerischer Selbstbewunderung, jedes dritte Wort enthielt einen orthographischen oder grammatikalischen Fehler, dabei herrschte erstaunliche Genauigkeit in einer Fülle nicht uninteressanter Details. »Ja, sie nehmen es sehr ernst mit ihrer eigenen Person und sehr nonchalant mit uns andern«, sagte Herr von Andergast, indem er das Heft weglegte und sich erhob. »Ich möchte, Herr Vorsteher, einen Gang durch die Anstalt machen und nachmittags um drei Uhr den Sträfling Maurizius zu einem Gespräch unter vier Augen aufsuchen.« Pauli verbeugte sich und läutete nach dem Inspektor. »Wie hält sich der Mann?« fragte Herr von Andergast im Ton der Beiläufigkeit, die rechte Hand schon an der Türklinke. Pauli lächelte mit emporgezogenen Brauen. »Oh«, antwortete er, »wenn alle so wären, Herr Baron. Da hätten wir ein leichtes Leben.« Der Inspektor, ein wohlgenährter Greis mit freundlichem, gescheitem Gesicht trat ein.
    3

    Ein eisernes Gitter wird aufgesperrt, man gelangt in einen düstern Hof, den die himmelhohen Mauern des Gebäudes umgrenzen. Der Inspektor geht voran, ihm folgen Herr von Andergast und der Vorsteher, den Schluß bilden zwei Aufseher in ihren Uniformen. Der Hof ist sauber gekehrt, überall macht sich eine Ordnung bemerkbar, die vielleicht nicht die alltägliche ist. Herr von Andergast weiß natürlich, was es mit solch angekündigtem Besuch auf sich hat, da ist alles, was Arme und Beine hat, zuvor in Tätigkeit versetzt worden, damit man sich keinen Rüffel zuziehe, und wo etwas faul ist, hofft man mit dem Hinweis auf eingerissene Gewöhnung oder nicht bewilligte Mittel auf Nachsicht. Aber er weiß auch, die Leute sind pflichttreu und obliegen ihrem harten Beruf mit Verständnis und Geduld. Es ist nicht mehr wie in früheren Zeiten, die allerdings gar lang noch nicht vorbei sind, wo die Strafhäuser verrufene Höllen waren, von deren Schrecklichkeit das Volk nur ängstlich zu raunen wagte, ihre Direktoren verantwortungslose Tyrannen, ihre Wärter Folterknechte. Man lebt in einem Kulturstaat, und der Strafvollzug wird nach humanen, es steht zu befürchten, manchmal nur allzu humanen Grundsätzen gehandhabt. Kressa genießt zudem in dieser Beziehung einen besonders guten Ruf.
    Doch um eine der üblichen Revisionen vorzunehmen, ist er nicht gekommen. Er hat sich eines offiziellen Vorwands bedient, um den eigentlichen Zweck möglichst unscheinbar zu machen. Er wünscht nicht, daß es heiße, der Oberstaatsanwalt ist bei Leonhart Maurizius gewesen, offenbar nimmt er sich der Sache an, es ist etwas im Zuge. Er wünscht kein Gerede. Nein, es ist nichts im Zuge, man sei ganz beruhigt. So wird der Vorwand gewissenhafte Verrichtung.
    Die fünf Männer klimmen schweigend eine steilgewundene Holztreppe empor, der Inspektor schließt eine eiserne Tür auf, es geht durch einen langen,

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