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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Mundart, tiefer Atem hebt dabei seine Brust, der mächtige verbogene Körper erlebt die unerträgliche Unbill wie in einem fernen Echo wieder, das ihn durchschüttelt und durchtönt: wie er das Geld gebraucht und es gefordert, einmal, zweimal, fünfmal, wie der Bauer sich ausredet, sich herumdrückt, ihn vertröstet, wie er sich endlich überzeugen muß, das Geld ist nicht mehr vorhanden. Was kann da helfen? Kein Gott, kein Richter kann helfen, den Mann muß man kaltmachen, sonst frißt es einem das Herz ab. Verstörte Seele. Zermalmte, irre Seele. Neben dem arbeitet Schergentz, ein fünfundzwanzigjähriger Bursche, Brandstifter. Man hat niemals erfahren, weshalb er das Feuer gelegt hat, er ist ein braver Sohn und fleißiger Arbeiter gewesen. Eines Nachts zündet er die Nachbarscheune an, drei Menschen verbrennen. Warum? Niemand weiß es, er hat seit der Stunde seiner Verhaftung keine Silbe mehr gesprochen. Vater, Mutter, Zeugen, Untersuchungsrichter, Gendarme, Richter, Verteidiger, Geschworene haben sich vergeblich bemüht, keine Silbe, er ist stumm. Auch im Schlaf spricht er nicht, wenn er allein ist nicht, niemals vergißt er sich. Der Vorsteher redet ihm auch jetzt wieder zu, aus den Mienen des Inspektors und der Aufseher erkennt man, wie aussichtslos der Versuch ist. Herr von Andergast legt ihm schwer die Hand auf die Schulter, und den Blick der veilchenblauen Augen in die verstockt lohenden des Sträflings einbohrend, sagt er: »Na, Mann, was soll es denn eigentlich? Wem zuliebe? Ihnen selber sicherlich nicht? Na also –!« Aber diese Lippen sind versiegelt. Ein Mithäftling, einer von der »Intelligenzzelle«, hat vor Monaten die Meinung geäußert: In der ersten Minute nach der Entlassung wird er wieder sprechen, vorher nicht. Und so verrichten seine Hände die gewohnte Arbeit, während die düster geschlossenen Augen, schweigend auch sie, an den Männern vorüberschauen. Kein größerer Gegensatz als der zwischen ihm und seinem Nebenmann, dem jungen Giftmörder. Er hat den Vater seiner Braut mit Arsenik aus dem Weg geräumt, weil er die Heirat verhindern gewollt und sich weigerte, der Tochter eine Mitgift auszuzahlen. Glieder, Gelenke, Muskeln, Lippen, Stirn, alles zittert an ihm in konvulsivischer Bewegung, sein Gesicht rötet sich hektisch, wenn er von der unfaßlichen Ungerechtigkeit spricht, die ihm durch das Schuldurteil widerfahren, daß nichts bewiesen worden ist, daß er an Böses nie gedacht, daß die Zeugen seine Feinde waren, das Gericht voreingenommen. Er zitiert die Aussagen der chemischen Sachverständigen, die Aussagen des Apothekers, alles falsch, alles Verleumdung, jenes sei verschwiegen, dieses erfunden worden, alles um ihn zu verstricken, zu verderben. Warum? fragt Herr von Andergast trocken. Er hebt leidenschaftlich die Schultern hoch. Weltkomplott. Seine leisen Worte überstürzen sich, während er hastig flicht und mit einem flachen Schlägel die Matte klopft, die Zungenspitze näßt die Lippen und springt hervor wie bei einer Natter, die Augen sind beständig gesenkt, der ganze Mensch verkörperte Lüge. Doch wie armselig die Lüge, wie verkrochen-scheu, wie durchsichtig und wie krank. Der Leib gehorcht dem Willen nur noch scheinbar, er ist ein zerstörter Mechanismus, eine Maschine mit verrosteten Rädern und gebrochenen Röhren, daß er atmet, greift, schluckt und verdaut, ist eine Attrappe. Da ist im dritten Saal ein alter Mensch, sechzig, fünfundsechzig Jahre, er weiß es selbst nicht genau, dreiunddreißig Jahre hat er mit nur kurzen Unterbrechungen in der Anstalt verbracht, Typus des Rückfälligen. Vor elf Jahren ist er zum letztenmal eingeliefert worden. Er sieht aus wie ein gemütlicher Vagabund mit seinem graumelierten Kinnbärtchen, seiner dicklichen Figur, dem kurzen Hals, dem kleinen, runden Kopf, der kleinen Stupsnase, dem kleinen Mündchen, der kleinen, vorgewölbten Stirn. Herr von Andergast erkundigt sich bei ihm nach seiner Straftat. Er lächelt behäbig vor sich nieder, ach, son kleener Diebstahl, und prüft die Schneide des Hobels am Finger. »Na, Käsbacher«, wendet der Inspektor vorwurfsvoll ein, »Diebstahl, das hätte doch nicht elf Jahre abgegeben.« – »Jewiß nicht«, gibt der Alte zu, »'n bißchen Sittlichkeit war eben ooch dabei.« – »Nun, und sind Sie zufrieden mit der Behandlung?« fragt Herr von Andergast. – Zufrieden? Oh, das wohl, darüber sei nicht zu klagen, jetzt, seit die humanen Bestrebungen im Schwange seien, habe man es ausnehmend gut

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