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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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vorzumachen. Ich verstehe, daß du da ein nettes Ding drehen willst, aber einen ganzen Taler ist das Ding nicht wert; gleich dich mit fünfzig Prozent aus, da hast du eine Mark fünfzig, das verrechne ich mit dem Professor, und jetzt verdufte.« Zögernd, mißtrauisch, nicht recht wissend, was er von dem Knaben halten sollte, alles in allem unbehaglich berührt, nahm Paalzows Junge das Geld und schlurrte mit finsterer Miene stiernackig über den Gang davon.
    Als Etzel ins Zimmer zurückkam, hatte Warschauer die Gaslampe über seinem Schreibtisch angezündet, und man hörte das kratzende Geräusch seiner Feder. Durch das offene Fenster drangen gedämpft, über die Häuserdächer herüber, das Bellen der Autohupen und die Glockensignale der elektrischen Tram. Etzel setzte sich auf einen Bücherstoß, und mit den Beinen baumelnd fing er wieder an, Kirschen zu essen. Auf einmal wandte sich Warschauer auf seinem Sitz um und fragte: »Sie haben ihm Geld gegeben, dem Lumpen?« Etzel nickte lebhaft. »Warum? Es ist dumm und schlecht, solch erpresserischer Kanaille Geld zu geben. Warum also? Haben Sie's denn so dick?« Etzel spuckte ein paar Kerne in weitem Bogen durchs Fenster und erwiderte:»Ich hab's gar nicht dick. Aber erstens soll hier kein Krawall sein. Zweitens, was heißt Lump? was heißt Kanaille? Ein armseliger Kerl. Den kann man ja um den Finger wickeln für eine Mark fünfzig. Wollte sehen, ob er wirklich so ein armseliger Kerl ist. Das ist das ganze Positive an ihm, drei Mark mit fünfzig Prozent Rabatt. Bin ich schuld?« – Warschauer rückte etwas weiter auf seinem Stuhl herum. »Das Positive, wie meinen Sie das?« fragte er. Etzel spuckte emsig Kerne. »Na ja, was man eben Positives braucht, wenn man nicht draufgehn will«, versetzte er gleichmütig, »ein kleines Ideal zum Beispiel, einen Glauben, einen Menschen, eine Sache. Das haben die alle nicht.« Er machte eine vage Handbewegung zur Tür hin, um gewissermaßen die sämtlichen Paalzows Jungens zu bezeichnen, die draußen nach »Positivem« schmachteten.
    Warschauer schwieg und kehrte sich wieder seiner Arbeit zu. Allein nachdem einige Minuten verflossen waren, legte er die Feder hin, wandte sich abermals um, stützte den rechten Ellbogen auf die linke Hand, bedeckte Kinn und Mund mit der rechten und schaute so Etzel eine Weile an, der sich nicht im geringsten gestört zu fühlen schien. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich aus Ihnen klug werde, Mohl«, sagte er endlich leise. »Am Ende heißen Sie auch ganz anders, wie? Na also, heraus mit der Farbe!« Es klang nicht argwöhnisch oder drohend, sondern wohlwollend, gleisnerisch betulich, und hatte wieder den »menschenfresserischen« Unterton.
    Etzel sprang mit einem Satz von dem Bücherstapel herunter. »Vielleicht heiß ich ebensowenig Mohl wie Sie Warschauer heißen«, antwortete er frech, »vielleicht. Wer weiß!«
    Warschauer erhob sich sehr langsam. Er ging sehr langsam auf den Knaben zu. »Hallo, Junge?« kam es aus seiner Brust herauf, mit einer neuen Stimme, einer gleichsam versunken gewesenen, »hallo, Junge?«
    »Ich sag bloß: vielleicht«, beharrte Etzel, um eine Schattierung blasser, und hielt dem schwarzen Funkeln der Brillengläser mit dem dringlichen Blick stand, den seine Kurzsichtigkeit erforderte, »vielleicht heiß ich . . . wie könnt ich nur heißen? vielleicht heiß ich Maurizius. Es gibt ja noch welche, die so heißen. Warum kann ich nicht Maurizius heißen . . .?«
    Warschauer-Waremme sah aus, als hätte jemand von der Straße, weit über die Dächer herüber, nach ihm gerufen. Seine Züge verkrampften sich zu einem düster lauschenden Ausdruck des Nachdenkens. »Maurizius –?« wiederholte er grübelnd. Er strich sich mit der fetten weißen Hand langsam über die Stirn. Plötzlich machte er noch einen Schritt auf Etzel zu, nahm seine Brille ab und schaute ihm mit befremdeter Neugier starr ins Gesicht. Zum erstenmal sah Etzel seine Augen, wasserblasse, lichtlose, fast gestorbene Augen.
    Neuntes Kapitel
    1

    Die Generalin hatte von Sophia von Andergast einen Brief erhalten, der sie ungesäumt zu folgender Antwort veranlaßte:
    Liebe Sophia, ich finde es richtig, daß Du herkommst. Übrigens hast Du nicht nach mir zu fragen, und ich hab Dir nicht einmal zu raten. Ich finde Deinen Entschluß so richtig, daß ich Dich einlade, bei mir zu wohnen, wenn Du es annimmst, bin ich froh. Hoffentlich bist Du nicht schon unterwegs, und diese Zeilen treffen Dich noch. Wer sollte Deine

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