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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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einbildet; da ist ein Gewimmel zementfahler Kinder mit gierigen Verbrecheraugen; und Ruß und Staub und Rauch und Berge von Papierfetzen und krüppelhafte Autos und Firmentafeln in allen Idiomen der Welt und Benzingestank und Schweißgestank und Blutdunst. Nun zur Sache. In besagter Nacht ging ich aus, neben mir waren neue Mieter eingezogen, fünfköpfige irische Familie, denen war am Bahnhof all ihr erspartes Geld gestohlen worden. Ihre Verzweiflung machte das ganze Haus mobil, das Jammern und Schluchzen enervierte mich, ich hatte für Mitternacht eine Verabredung mit Joshua Cooper, der für einige Monate nach Louisiana wollte, er hatte mich in eine Bar an der Zweiundzwanzigsten Straße bestellt, auch eine süße Gegend. Von weitem schon hört ich wüstes Geschrei, zuerst dachte ich, es sei der Regen, der auf die Wellblechdächer peitscht, dann seh ich eine Horde von Kerlen daherstürmen und vor ihnen, in einem Abstand von zwanzig Schritten, einen kolossalen Neger. Kein Zweifel, es ist mein Joshua. Er ist beinahe nackt, sie haben ihm die Kleider vom Leib gerissen, er fliegt förmlich, sein gutes, schwarzes Gesicht ist von einer Todesangst verzerrt, wie ich sie nie, weder vorher noch nachher, an einem menschlichen Wesen gesehen habe. Er rast daher, die Beine weitausschwingend, die Arme vorwärtsgestreckt, auf seiner Stirn, genau in der Mitte, klafft eine kleine Wunde, von der rinnt ein dünner Blutfaden über Nase, Mund und Kinn. Die Sekunde seines Vorüberrasens belehrt mich darüber, was seiner harrt, es ist aus mit ihm. Schon kommen die Verfolger. Zwölf bis fünfzehn Burschen. Johlend, mit tierischem Gebrüll, irrsinnig vor Wut. Es nagelt mich an den Boden fest. Der Sturm reißt mir den Schirm weg, ich merk es nicht, den Hut weg, ich stand gerade an einer Hausecke, ich merk es nicht. Ich sagte schon, ich bin ein harter Teufel, aber damals . . . lauf, guter Freund, lauf, mein Joshua, stammel ich vor mich hin, diese zwölf oder fünfzehn Kerle . . . von der Menschheit hatten sie nichts mehr an sich. Bestien? Jede Bestie hat ein Quäkergemüt dagegen. Es waren Leute, denen Raub und Mord Geschäft ist, die einen Menschen durch einen Schlag ins Gesicht stumm machen und sich weniger dabei aufhalten als andere, wenn sie eine Fensterscheibe zerschlagen, acherontische Gestalten, das zweibeinige Aas der Vorstädte, dergleichen gibt es hierzulande nicht, der Verkommenste hier erinnert einen noch, daß ihn eine Mutter geboren hat. Ihre infamste Tücke besteht darin, Verbrechen anzuzetteln, die sie den Negern in die Schuhe schieben, das geht natürlich von einer Zentrale aus, wie seinerzeit in Rußland, als sie die Juden massakrierten, das heißt dann Lynchjustiz. Nein, und wenn ich Methusalems Alter erreiche, nie werd ich meinen Joshua vergessen, wie er vor der johlenden Brut mit Geistergeschwindigkeit enteilte, den Blutfaden über dem guten, schwarzen Gesicht, die Arme vor sich hingestreckt. Ich habe ihn nicht mehr gesehen, ich habe nie mehr von ihm gehört, Gott weiß, wo seine Leiche fault . . .«
    4

    Warschauer erhob sich schwer, schritt auf Etzel zu, der mit gesenktem Kopf auf dem Sofarand saß, tippte ihm mit dem Finger auf die Stirn, einmal, zweimal, bis dieser die Augen zu ihm aufschlug. Das Bild des durch die Sturmnacht jagenden Negers mit dem Blutfaden im Gesicht, es war kaum zu ertragen, er verspürte Kälte in den Eingeweiden, unwillkürlich machte er eine abwehrende Geste. »Na, Jungchen?« sagte Warschauer, setzte sich neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter, »haben Sie genug davon?« Etzel schüttelte den Kopf. »Genug werd ich erst haben, wenn . . .« Er stockte, die Brauen waren zusammengezogen. – »Wenn –?« – »Wenn ich alles von Ihnen weiß, alles, alles.« – Warschauer wiegte ironisch-besorgt den Kopf. »Alles ist viel, alles, alles ist Ihre gewöhnliche Unverschämtheit, Mohl. Aber Sie haben Glück, ich bin in Schwung. Wenn Sie mir ein bißchen Ihre Hand überlassen, das feine Aristokratenhändchen, daß ich es zwischen meine Pranken nehme, will ich ein netter Onkel sein und mein Garn weiterspinnen.« Beinahe gierig haschte er nach Etzels Hand, der die ihn grausig anmutende Zärtlichkeit widerwillig duldete, und nur, weil sie als Bezahlung gefordert wurde. Die Gasflamme sang, eine fette Schmeißfliege raschelte unter den Papieren auf dem Schreibtisch.
    Das eintönige, an Kantorgeleier erinnernde Reden begann wieder. Es gelang Etzel, seine Hand aus der breiig-weichen Umschließung zu

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