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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Aussicht auf den Primus gehabt. Ehrlich gesagt, darauf leg ich wenig Wert. Aus Musterschülern werden keine Mustermenschen, Sitzfleisch macht nicht Genie. Genie ist Fleiß, sagen die Deutschen. Das könnte ihnen so passen. Ich halte was von dir, du bist mein einziger Enkel, ich bin deine einzige Ahnin; hättest du ein halbes Dutzend Geschwister, so würd ich mir vielleicht einen andern unter euch aussuchen als gerade dich, denn du bist mir ein wenig zu verschlagen und ein wenig zu verdöst. Man muß viel da drinnen haben (sie deutete auf ihre Brust), wenn man so viel dahinten hat (sie zwickte ihn am Ohrläppchen). Na, ganz egal, ich hab dich trotzdem lieb, nur wird mir manchmal angst und bang, wenn ich dich anseh.«
    Sie ist eine herrliche Frau, dachte Etzel. Er lächelte zu ihr hinüber (sie waren beide fast gleich groß), blieb mit einem Ruck stehen und fragte, noch mit einem Rest jenes Lächelns, um die Bedeutung der Frage abzuschwächen: »Du, Großmama, sag mir: Wo ist meine Mutter und warum weiß ich nichts von ihr?«
    Es wäre vergebliche Mühe, die komplizierte Gedankenreihe aufdecken zu wollen, die ihn zu solch gewalttätigem Einbruch in den Seelenfrieden der Generalin veranlaßte. Vielleicht ging sie von dem Mann mit der Kapitänsmütze aus und dem Bezirk, an dessen Peripherie er sich seit der Erzählung der Generalin bewegte; vielleicht war es ein natürlicher Vorgang, und es zeigte sich, auf natürliche Weise, einer von den Pfeilern, über die seine Schicksalsbrücke lief. Jedenfalls war die Generalin erstarrt vor Schrecken und fand ihn wieder einmal außerordentlich frech. Dann wurde ihre Miene höchst ärgerlich. Entschieden mißbrauchte er ihre Langmut. Nur um sie zu peinigen, hat er einen ganzen Zettelkasten mit Fragen vorbereitet. Nichts ist ihr so verhaßt, als wenn man ihr fortwährend Fragen ins Gesicht knallt. Heute das, morgen das, übermorgen ein drittes, ihretwegen; aber auf einmal das ganze Bombardement, das geht über die Hutschnur. Abgesehen davon, sie hat zu kopiös gegessen, sie muß der Ruhe pflegen, sie darf nach Tisch nicht so viel schwatzen, sie hat dann Beklemmungen und kann nachts nicht schlafen. Etzelein ist ein netter Junge und geht jetzt nach Hause. Schönen Gruß an den Vater. Empfehlungen an die Rie. Adieu. Damit schob sie ihn, überbeweglich, überberedt, ins Vorzimmer, nahm seinen Kopf zwischen ihre feinen, kühlen Hände, küßte ihn mit komisch gespitzten Lippen auf die Stirn und auf die Augen und schlug die Tür schallend hinter ihm zu.
    Drittes Kapitel
    1

    Dr. Raff ergriff die Gelegenheit, mit Robert Thielemann über Etzel zu sprechen. Er war in Sorge. Etzel ließ in seinen Leistungen bedenklich nach. Seine Unpünktlichkeit und Zerfahrenheit hatten in der letzten Zeit vielfachen Grund zur Klage gegeben. Man hatte es Etzel angedeutet. Es hatte keinen Eindruck auf ihn gemacht.
    »Schade«, sagte Dr. Raff, während er mit Thielemann im Schulkorridor auf und ab ging. »Ich würde ungern zu Maßregeln greifen. Ich liebe nicht Maßregeln. Was ist los mit ihm? Wissen Sie es nicht?«
    Thielemanns Kinn stieß wie ein Schnabel über den verbogenen Stehkragen vor. Die Erkundigung schmeichelte ihm; daß er keine Erklärung geben konnte, ärgerte ihn. Etzel wich ihm seit ungefähr einer Woche ebenso aus wie allen Mitschülern. Er gestand es nur zögernd. »Ich dränge mich nicht auf«, bellte er, »meinetwegen tut er, was er will. Vielleicht bin ich ihm nicht vornehm genug, und er hat zu Hause entsprechenden Befehl gekriegt.«
    »Pfui, Thielemann«, sagte Camill Raff.
    Der schlaksige Junge fuhr mit allen zehn Fingern durch seinen roten Schopf. Seine zänkische Geringschätzung sollte nur seine Verletztheit bemänteln. »Möglicherweise hat sein alter Herr Wind bekommen, daß ich politisch, na, wie sag ich nur schnell, nicht ganz zimmerrein bin. Das heißt, für die Nase des Herrn Barons.«
    Dr. Raff unterdrückte ein ironisches Lächeln. Du guter Gott, unsere Marats und Saint-Justs! dachte er. »Es tut mir recht leid«, beteuerte er wieder in seiner alemannischen Dialektfärbung, »recht leid. Ich dachte, er hätte ein bißchen Vertrauen zu mir. Er war immer sehr freimütig gegen mich. Das hat sich geändert. Man müßte zu erfahren suchen, warum. Vielleicht holen Sie ihn bei Gelegenheit ein wenig aus. Nur keinen Trotz, Thielemann. Momentan sind Sie in der besseren Position, weil er im Unrecht ist. Halten Sie ihm den Weg offen.« Er nickte Thielemann zu und entfernte sich. Von hinten

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