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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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wodurch sie schon viel Verwirrung angerichtet hatte. Weit entfernt, es als eine schädliche Schwäche zu betrachten, lachte sie sich halbtot, wenn es ihr passierte, wenn sie Geschlechter, Standespersonen und Berühmtheiten verschiedener Kategorien durcheinanderbrachte. Das Mädchen, das seit vierzehn Jahren bei ihr bedienstet war und das Nanny hieß, rief sie jeden Tag anders, Bertha, Elise, Babett, wie es ihr in den Sinn schoß, denn sie war immer das Geschöpf der Sekunde und band sich in liebenswürdiger Felonie an kein Abkommen. Trotzdem richtete Etzel die Frage an sie, und um sich den Anschein der Gleichgültigkeit der Erkundigung, den Anschein der Unwichtigkeit zu geben, musterte er mit erheuchelter Neugier das silberne Salzfaß, als wäre es ein Schiff, dem er sich für eine weite Reise anvertrauen wollte.
    Maurizius – der Name klang der Generalin nicht unbekannt. Sie legte das Dessertmesser hin, stemmte die Arme auf die Hüften und blickte mit emporgezogener Stirn, was ihrem Gesicht einen etwas törichten Ausdruck gab, ebenfalls auf das Salzfaß. Es war ein Name, aus dem Dunkelheit emporstieg. Wenn man ihn nannte oder hörte, wehte einem eine modrige Kälte entgegen, wie wenn eine Kellertür geöffnet wird. Unheil wurde in die Erinnerung gerufen, versunkene Gesichte gewannen wieder Umrisse und erweckten automatisch das Grauen, mit dem sie einst über der Stadt, der Provinz, ja über dem ganzen Land gelastet hatten. Es war, wie wenn ein versickerter Sumpf durch einen unvorsichtigen Spatenstich seine giftig schillernden Wässer wieder an die Oberfläche quirlen läßt. »Was geht dich das an, Junge?« fragte sie unwillig, »was hast du damit zu schaffen? Wie kommst du auf den Namen? Die Geschichte ist schon nicht mehr wahr, so lang ist es her. Viele Jahre sind darüber weggegangen. Wie kommst du darauf?« Etzel sah, welchen Eindruck der Name auf die Generalin gemacht hatte. »Was ist es denn?« flüsterte er und rieb mechanisch die Flächen seiner zwischen die Knie gesteckten Hände gegeneinander. »Erzähl mir doch, Großmama, was das war, ich erzähl dir dann auch, warum ich's wissen will.« – »Unmöglich, es zu erzählen«, versicherte die Generalin. Sie hat ihm ja gesagt, es ist viele Jahre her. »Wart mal, laß mich nachrechnen. Dein Großvater war bereits tot. Es muß im Trauerjahr gewesen sein, vielleicht etwas später. Nicht sehr viel später, denn anderthalb Jahre nach seinem Tode bin ich in den Orient gefahren. Also achtzehn Jahre, zwei Jahre, eh du auf die Welt kamst. Wie soll ich dir da heute noch davon erzählen können, nach mehr als achtzehn Jahren? Was interessiert dich denn so an der Sache?« Statt zu antworten fragte Etzel nach einer Weile mit noch leiserer Stimme: »War der Vater dabei im Spiel? Im Spiel ist natürlich ein dummer Ausdruck, Großmama, du weißt schon, was ich meine.« Ängstlich heftete sich sein Blick auf das in einen Ozeandampfer verwandelte Salzfaß, das sich indessen gleichsam dem Molo genähert hatte, bereit, die Passagiere aufzunehmen. »Dein Vater? Ja . . . ich denke . . .«, war die zögernde Erwiderung, die einen kleinen boshaften Unterton hatte; »ich denke doch; er war damals noch Staatsanwalt, und mir kommt vor, die Geschichte hat ihn erst so richtig hochgebracht. Da irr ich mich wohl kaum, das ist ziemlich sicher, er hat sich damals gewaltig ausgezeichnet, ohne ihn wär der Maurizius am Ende gar noch straflos davongekommen.« Sie schwieg, nestelte an ihrer Ärmelkrause und lachte ein bißchen verlegen; sie sah in diesem Augenblick dem um siebenundfünfzig Jahre jüngeren Enkel außerordentlich ähnlich.
    Aber Etzel drängte und drängte. Mit einer sublimierten Schlauheit gab er sich die Miene, wie wenn die glühende Wißbegier, die sein ganzes Wesen durchflutete, entfacht von einer Erscheinung, zustrebend einem bang geahnten Ziel, wie wenn die bloß eine gewöhnliche Bubenneugier wäre. Er rückte seinen Stuhl näher zur Generalin, ergriff ihre Hand und legte sie an seine Wange. Dabei bettelte er mit Mund und Auge. Die Generalin schüttelte verwundert den Kopf. »Hör mal, Junge, du bist ja total verdreht«, zankte sie, »mir scheint, du warst in der letzten Zeit heimlich im Kino und hast dich mit den Scheußlichkeiten dort um den Verstand gebracht. Es soll ja Jungens geben, die davon ganz wild werden. Übrigens, unter uns, ich geh auch manchmal hin, verrat mich aber nicht. Na, schau mich nicht so verzweifelt an, ich überlege eben, was ich noch von der Sache

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