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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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das nichts aus, der Zuchthaussträfling, der Lebenslängliche? fragt ich ihn. Er erwiderte: Nein, das mache ihm in dem Fall gar nichts aus. Da faßt ich den Entschluß, eine andere Frage an ihn zu richten, ich wußte nur nicht, wie ich's anstellen sollte, das heißt, ich fürchtete mich sogar. Das war dann auch das Ende. Vor vier Jahren geschah es. Seit vier Jahren ist er tot.«
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    »Ich verstehe nicht«, sagt Herr von Andergast stockend, »sein Tod . . . hängt er damit zusammen? mit der Frage?« – »Eben. Ich will es Ihnen noch erzählen. Dann . . . genug. Worüber ich seitdem häufig nachdenke, das ist die Wunderbarkeit der Beziehungen, in. die ein Mensch geraten kann. Ein solches Verhältnis wie das zwischen mir und dem Wärter Klakusch würde jeder Außenstehende unbedingt als romantisch und unwahrscheinlich bezeichnen. Vielleicht würde er sogar sagen, es sei in meiner Einbildung entstanden und habe in Wirklichkeit nicht existiert. Und wenn mir ein beharrlicher Skeptiker scharf zusetzt, ist es möglich, daß ich selber das Ganze für einen Traum halte. Geht es doch mit allen unsern Erlebnissen so, nach einer gewissen Zeit werden sie zu Träumen, das Ich, das es gelebt hat, ist nicht mehr das Ich, das sich erinnert. Es mögen wohl hie und da Traumgesichte gewesen sein, wenn der Alte mit seinem flachsgelben Bart in der Dämmerstunde hier in meiner Zelle gestanden ist, damals hatt ich schon diese Zelle, und mir dabei zumute war, als hätt ich wieder eine Menschenseele in der Brust, weil er eine hatte. Denn darauf kommt's ja an. Allein hat der Mensch keine Seele, das dürfen Sie mir ruhig glauben. Allein hat er infolgedessen auch keinen Gott. Und wenn ich an die Nächte denke, da war seine Stimme noch im Raum, ich konnte mich mit ihm weiter unterhalten, wie's auch jetzt bisweilen noch geschieht, für mich stirbt ja keiner, und vieles, was ich von seinen Worten aufbewahrt habe, ist geradezu aus Nacht und Nichtsein heraus erklungen. Ein Gehirn wie das da (er tippte sich auf die Schläfe) ist wie ein chinesischer Tempelgong, wenn man den mit der Spitze des Zeigefingers anrührt, entsteht ein Schall, als läute eine Domglocke unterm Wasser. Doch um den Zweifel und das wegen der Romantik auf sein Richtiges zu bringen, so dürfen Sie nicht vergessen, daß das ein Boden ist, so ein Zuchthaus, in dem Pflanzen gedeihen, die ihr draußen noch nicht klassifiziert habt, und wo sich Dinge ereignen, von denen man annehmen muß, daß sie aus der Zwischenwelt sind. Alles so eng und so weit, so trächtig und so hohl, und das, was man Schicksal heißt, so dicht an einem dran. Das wollt ich nur vorausschicken. Ich weiß nicht, ob es Ihnen was besagt. Schon ein paar Tage hindurch, das heißt immer zu unsern Stunden natürlich, hatt ich mich mit Klakusch über die Anstalt im allgemeinen unterhalten. In dem Jahr, nach dem Umsturz, waren viele Verbesserungen und Erleichterungen eingeführt worden, in mir erweckte das gewisse Hoffnungen, aber Klakusch meinte, damit habe es nichts auf sich, wenn das Mehl nicht tauge, sei es Verschwendung, Rosinen in den Teig zu stecken. Das Übel sei woanders zu suchen, das sähen die Studierten nicht ein, es liege am Maß. Wenn einer einen Fingerbreit Schuld hat, sagte er, irgendein kleiner, gewöhnlicher Mensch, verdammen sie ihn zu einem Meter Strafe ohne Ansehung der Person. Wer dürfe strafen ohne Ansehung der Person? Das sei ein göttliches Recht, ohne Ansehung der Person zu strafen. Erst verstand ich ihn nicht, endlich begriff ich, daß er nicht die äußere Person meinte, da herrscht ja »Ansehung« genug, sondern die innere. Der springende Punkt sei, setzte er mir auseinander, was ein Mensch an Selbstverantwortung tragen könne, in dem Bezug sei kein Mensch dem andern gleich. Ich wandte ein, daß man vom eigentlichen Strafprinzip längst abgekommen sei, auch vom Vergeltungsprinzip, auch vom Abschreckungsprinzip, nur um den Schutz der Gesellschaft gehe es noch und um die Besserung des Verbrechers. Da sagte er, mit dem Schutz sehe es genau so windig aus wie mit der Besserung, über die doch bei den Eingeweihten nur ein Gelächter sei, wie solle man einen Wahnsinnigen davor schützen, daß er sich mit seinen eigenen Händen das Gesicht zerfleischt? Die Menschenwelt sei ein solcher Wahnsinniger, sie nimmt sich heraus zu schützen, was sie in ihrer Vernunftlosigkeit immerfort selber zerstört. Deshalb sage ich: Hör damit auf, Menschenwelt, und pack's von einer andern Seite an. Es war ein

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