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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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gebaut, Zivilisation verbreitet mit Hilfe der Gerechtigkeit? Wissen Sie einen Fall? Ich weiß keinen. Wo ist das Sühneforum für die verbrecherische Ausrottung von zehn Millionen Indianern? oder für die Opiumvergiftung von hundert Millionen Chinesen? oder für die Versklavung von dreihundert Millionen Hindus? Wer hat die mit leibeigenen Negern vollgepfropften Schiffe aufgehalten, die zwischen dem sechzehnten und neunzehnten Jahrhundert in Karawanen von Afrika nach dem nordamerikanischen Kontinent segelten? Wo rührt sich eine Hand für die Hunderttausende, die in den Kupferminen Brasiliens zugrunde gehn? Wo ist der Richter, der die Pogrome in der Ukraine zu bestrafen unternimmt? Wollen Sie noch mehr? Ich bin versehen. Sie werden einwenden, das ist ja euer sittliches Arkanum: Man muß es bessern, man muß es ändern. Ta, ta, ta . . . Man bessert nichts, man ändert nichts. ›Man‹ nämlich. ›Es‹, das ist eine andere Schose. Aber da handelt es sich um Entwicklungen, so lang wie die vom Affenmenschen bis zu Perikles. Das Unterfangen ist zu groß, das Eigenformat zu klein, mein guter Mohl. Anmaßung! Anmaßung! Ihr könnt eure Gaben wirksamer verwenden, ihr Repräsentanten, ihr. Denn Sie halten sich doch wohl selber für einen Repräsentanten. Des Zeitgeistes? der Generation? Leugnen Sie nicht (Etzel dachte gar nicht daran, zu leugnen oder überhaupt etwas zu bemerken, er hörte nur mit runden aufgerissenen Augen zu), leugnen Sie nicht, es ist die Mode, es ist der Typus. Alle diese Vatersöhne heutzutage, diese rebellischen Run-away-boys, die die Welt beglücken wollen, schließlich müssen sie klein beigeben und froh sein, wenn man ihnen gestattet, von irgendeinem Amtssessel aus zu dekretieren, daß der Mist in einem zufällig benachbarten Augiasstall wenigstens die Nase des Publikums nicht belästigt. Sie sind schnell von der Einbildung geheilt, daß sie damit mehr geleistet hätten als die geschmähten Erzeuger. Was hat es für einen Sinn, nach Gerechtigkeit zu schreien, wenn die grobe Realität, die uns umgibt, uns fortwährend mit unverschämtem Hohn daran erinnert, daß wir ja von den Früchten der Ungerechtigkeit existieren. Jeder Bissen Brot, den ich verzehre, jede Mark, die ich verdiene, jedes Paar Schuhe, das ich trage, ist das Resultat eines verwickelten Systems von Rechtlosigkeit und Ungerechtigkeit. Jedes menschliche Dasein, jede menschliche Tätigkeit heute setzt eine Hekatombe von Hingeopferten voraus. Sie und Ihresgleichen aber setzen voraus, daß ein Wille zur Gerechtigkeit vorhanden ist, sozusagen die immanente Idee davon. Das ist falsch. Ein Trugschluß. Dem Menschheitsganzen ist die Gerechtigkeit vollständig schnuppe. Sie hat gar kein Organ dafür, die Menschheit. Bisweilen berauscht sie sich an dem Gedanken, namentlich in Zeiten, wo sie viel Butter auf dem Kopf hat, aber wenn nur im geringsten die Dividenden dadurch bedroht sind oder die Börsenkurse fallen, ist's Essig mit der Begeisterung, und selbst die lärmendsten Frösche steigen von ihrer Prophetenleiter herunter und hören auf zu quaken. Ich kannte zwei Leipziger Bankdirektoren, beide an derselben Bank. Das Institut verkrachte, zahllose Familien verloren ihre Ersparnisse. Der eine, ein anständiger Kerl, übergab der Konkursverwaltung sein ganzes Vermögen und stellte sich dem Gericht. Er wurde denn auch eingesperrt, bekam seine drei Jahre Gefängnis. Der andere, ein Halunke, soweit er warm war, wußte durch alle Maschen des Gesetzes zu schlüpfen, brachte seine Beute in Sicherheit und ist heute ein angestaunter, mit Orden bedeckter Nabob, Stolz des Vaterlandes. Die arme Dienstmagd, die in der Verzweiflung ihr Neugeborenes erwürgt, findet bei der Justiz kein Erbarmen, aber neulich hat ein hochadliger Herr in Mecklenburg seine Frau vergiftet, weil er sie beerben wollte, und sechs Monate lang hat der Staatsanwalt gezögert, die Anklage zu erheben. Im vorigen Jahr war ich mal bei einer Verhandlung, da wurde eine Frau wegen Kuppelei verurteilt, weil sie der Tochter mit ihrem Verlobten nächtliche Unterkunft gewährt hatte; ich vergesse nie den entsetzlichen Aufschrei dieses Weibes bei der Urteilsverkündigung, so viel Jammer über ein vernichtetes Leben, so viel Fassungslosigkeit über den Weltzustand hab ich noch nie in einer Menschenstimme gehört. Hingegen spricht eine verblödete Geschworenenbank irgendwo eine geständige Gattenmörderin frei, weil sie elegante Fetzen trägt und mit hochtrabenden Literaturphrasen um sich wirft. Wenn

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