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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Ewigkeit bis dahin, selbstverständlich, aber ich bin dir sicher, trotz der Ewigkeit.« (Er hatte wohl die Vorstellung, daß er mit den dreihundert Mark fünf Jahre lang reichen werde, immerhin ein ergötzlicher Zusammenprall von Zeit- und Geldbegriff; doch die Generalin lachte gar nicht, sie schüttelte nur leise den Kopf.) Er schloß: »Du siehst, ich schmeichle nicht und bettle nicht, ich komm zu dir, weil . . . einfach, weil ich eben niemand sonst auf der Welt weiß.«
    Die Generalin legte den kleinen Finger ihrer Linken quer über ihre Lippen und rührte sich minutenlang nicht. Dann stand sie auf, winkte Etzel, ihr zu folgen, und ging in ihr Schlafzimmer, das weißlackierte Möbel, einen bis zum Boden fallenden Baldachin über dem Bett hatte und überhaupt aussah wie das Schlafgemach eines siebzehnjährigen Fräuleins. Sie trippelte zu einem Wandsekretär, öffnete ihn, entnahm ihm eine mit Perlmutter inkrustierte Kassette, sperrte sie mit einem goldnen Schlüsselchen auf, das sie an einem Band um den Hals trug (alles das erinnerte Etzel an eine Märchenfigur und einen Märchenvorgang), zog fünf Hundertmarkscheine heraus, zählte sie ab und reichte dem Knaben drei. »Es ist das Geld für den ganzen Monat, die fünfhundert«, sagte sie mit niedergeschlagenen Augen, »mitsamt der Miete. Es kommt mich hart an, Junge. Ich bin recht beschränkt in den Mitteln, mußt du wissen; aber keinen solchen Unsinn mehr von Wiedergeben und dergleichen. Ich denke, daß du . . . ich will glauben . . . es ist ja seltsam, alles. Mir ist recht eigentümlich ums Herz, Etzelein . . .« Etzel näherte sich ihr fast demütig, nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände und küßte sie mitten auf den Mund. Dann sah er ihr mit jenem unbeschreiblichen Ernst, der sie schon einmal konsterniert hatte, in die Augen und flüsterte ihr zu: »Leb wohl, alte Großmama.« Als sie aufschaute, war er schon zur Tür draußen.
    Fünftes Kapitel
    1

    Am dritten Tag nach seinem Besuch bei der Generalin verließ Etzel die väterliche Wohnung und die Stadt. Es war der vorletzte Tag der Osterferien, Dienstag. Am Montagabend sagte er zur Rie, er habe mit Thielemann und den beiden Förster-Lörings einen Ausflug nach der Hohen Kanzel verabredet. Sie wollten um sechs Uhr früh aufbrechen und Mittwoch nachmittag zurück sein, die Rie möge ihm Proviant vorbereiten. Es regnete seit dem Mittag; auf die Bemerkung der Rie, daß es wahrscheinlich auch morgen regnen werde, entgegnete er, sie hätten beschlossen, bei jedem Wetter zu marschieren. »Wenn's nach dir ginge, Rie«, sagte er und blinzelte sie schalkhaft an, »müßt ich immer hübsch im Stübchen bleiben, am liebsten hättest du's, wenn du mich ans Stuhlbein anbinden könntest.« In der Tat war sie keine Freundin von »Unternehmungen«; was von der Regelmäßigkeit des durch Wiederholung geheiligten Tageslaufs abwich, war ihr ein Greuel. Aber da Herr von Andergast bereits seine Einwilligung gegeben hatte, mußte sie sich fügen. Es fiel ihr nur auf, daß Etzel, nachdem er seinen Rucksack gepackt hatte, bis in den späten Abend in seinem Zimmer hantierte, Schubladen auf- und zuzog, mit Papieren raschelte und sich dabei ungewöhnlich schweigsam verhielt. Ferner fiel ihr der Umfang des Rucksacks auf, als er am Morgen aus seiner Stube trat. Es war ein Ballen, kaum konnte er ihn auf den Rücken heben, so unmäßig dick und schwer war das Ding. Verwundert fragte sie, wozu er, für den einen Tag, eine solche Menge Sachen mitnehme; er antwortete errötend, es seien Bücher drin, die er sich von den Förster-Lörings ausgeliehen habe und die er ihnen zurückbringe, da er ohnehin bei ihrem Haus vorüber müsse, außerdem ein Mantel, den ihm Robert neulich geborgt. Sein Gesicht verriet, daß er log, die Rie wußte, daß er log, sie wußte es stets, aber sie hatte dessen nicht weiter Arg, war sogar gerührt, als er ihr wegen ihres Frühaufstehens Vorwürfe machte, sie waren am Abend übereingekommen, daß er auf dem Bahnhof frühstücken solle. Sie hatte aber zeigen wollen, welches Opfer sie ihm bringen konnte; daß die Demonstration nicht unbemerkt blieb, verringerte ihr Unbehagen über die regendüstere Morgenstunde. Sie steckte ihm zu dem übrigen Vorrat noch ein Vierteldutzend Butter- und Wurststullen in die Tasche, er dankte, kehrte in der Flurtür noch einmal um und gab ihr einen Schmatz auf die Backe, dann ging er.
    An demselben Vormittag trat Herr von Andergast eine Dienstreise nach Limburg an und gab kund, er werde

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