Der Fall
warf einen Blick zurück. »Im Lift.«
»O Mann, das wird bestimmt ein Knaller! Ein brutaler Mord. Halt, nein – noch besser – ein Doppelmord.«
»Könnten Sie Ihre Blutgier vielleicht etwas im Zaum halten?«
Die Liftkabine war leer, als Sara und Guff sie betraten. Guff drückte mehrere Mal auf den Knopf zum Schließen der Tür. »Geh zu, zu, zu, zu, zu, zu«, drängte er. Als sich die Tür endlich schloss, öffnete Sara den Ordner und blätterte zu dem Teil, der den Titel Tatbeschreibung trug. Sie hatte Mühe, die schlechte Handschrift des Streifenbeamten zu entziffern, der die Verhaftung vorgenommen hatte. »O nein! Das darf doch nicht wahr sein. Bitte sagen Sie mir, dass ich nicht richtig gelesen habe.« Sie reichte den Ordner Guff.
»Was? Was ist denn?«
Während Guff den Bericht überflog, sagte Sara: »Ist das noch zu fassen? Es ist kein Doppelmord, es ist kein einfacher Mord, es ist nicht mal Körperverletzung. Ein Typ namens Kozlow wurde bei einem Einbruch in der Upper East Side gefasst. Der Fall, der meine Zukunft sichern soll, ist nur ein lächerlicher kleiner Einbruch. Keine Schusswaffe, kein Messer, rein gar nichts.«
»Da haben Sie eindeutig eine Niete gezogen«, sagte Guff, als der Lift im Erdgeschoss ankam. »Aber versuchen Sie es doch positiv zu sehen: Wenigstens haben Sie einen Fall.«
»Allerdings«, sagte Sara, als sie das Gebäude verließen. »Ich hoffe nur, dass wir deswegen nicht in Schwierigkeiten geraten.«
Victor Stockwell stand vor Evelyn Katz’ Schreibtisch. »Da war ein Fall, den ich übernehmen sollte. Der Beschuldigte hieß Kozlow.«
»Kozlow, Kozlow, Kozlow«, murmelte Evelyn Katz und begann im Stoß mit den zuletzt eingegangenen Festnahmeprotokollen zu blättern. »Tut mir leid, aber ich finde ihn nicht.«
»Vielleicht ist er in diesem Stoß.« Ungehalten deutete Stockwell auf das Fach mit Eingängen.
Evelyn Katz ging die Unterlagen im Fach mit den Eingängen durch. Wieder nichts. »Tut mir Leid. Er ist nicht hier.«
»Es war ein Einbruch. Der Angeklagte hieß Kozlow.«
»Ich habe Sie schon das erste Mal richtig verstanden. Er ist trotzdem nicht hier. Haben Sie schon einen der anderen SBAs gefragt?«
»Beantworten Sie mir eine Frage!« Stockwell kniff vor Wut die Augen zusammen. »Bin ich Ihnen Rechenschaft schuldig oder Sie mir? Oder um es noch einfacher zu machen: Wer von uns ist der ECAB-Leiter?«
»Entschuldigung. Ich wollte nicht –«
»Was Sie wollten, interessiert mich nicht. Das Einzige, was mich interessiert, ist, diesen Fall zu bekommen. Deshalb möchte ich, dass Sie hier alles durchgehen und rausfinden, wer ihn hat. Und zwar sofort.«
3
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Sara. Sie saß in ihrem Büro und starrte auf das Festnahmeprotokoll von Kozlow.
»Was soll das heißen: ›Was machen wir jetzt‹?«, entgegnete Guff.
»Es soll heißen, dieser Fall ist Schrott. Wie werde ich ihn wieder los? Können wir ihn zurückgeben? Können wir noch mal in dieses Büro und uns einen anderen holen?«
»Wenn Sie sich einen Fall mal unter den Nagel gerissen haben, müssen Sie ihn auch behalten. Das ist etwa so, wie wenn Sie sich eine Hose kaufen und kürzen lassen – sobald Sie etwas daran geändert haben, können Sie sie nicht mehr umtauschen.«
»Aber an dieser Hose hier habe ich doch noch gar nichts verändert. Ich habe sie nur aus dem Regal genommen.« Sara fuhr mit der Kozlow-Akte durch die Luft und schrie: »Diese Hose ist noch völlig in Ordnung!«
»Trotzdem können Sie sie nicht mehr zurückgeben. Rückgabe und Umtausch ausgeschlossen.«
»Warum?«
»Weil, wenn wir ein Umtauschrecht hätten, die geringfügigen Vergehen, die den Hauptanteil der Straftaten in dieser Stadt ausmachen, nie verfolgt würden. Alle würden auf die interessanten Fälle warten.«
»Es ist mir schnurzegal, was hier üblich ist, Guff. Ich möchte diesen Fall wieder loswerden! Lassen Sie mich noch mal rekapitulieren. Sie sagen also, ich kann nicht einfach ins ECAB gehen, dieser Frau die Unterlagen auf den Tisch legen und sagen: ›Entschuldigung, diesen Fall hat der Bote versehentlich mir gegeben‹.«
»Theoretisch könnten Sie es schon. Aber nur, solange –«
Saras Telefon begann zu läuten.
»Solange was?«, fragte Sara, ohne abzunehmen.
»Solange die ECAB-Bearbeiterin nicht gemerkt hat, dass er weg war. Aber wenn sie es herausfindet …«
»Einen Augenblick.« Sara nahm den Hörer ab. »Hier Sara.«
»Sara, hier ist Evelyn Katz aus dem ECAB. Haben Sie einen
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