Der Fall
aus der Hand, aber Sara war zu spät gekommen – auf Jared hatte er bereits einen Schuss abgegeben. Und im selben Moment, in dem Rafferty vor Schmerzen vornüber sackte, hörte Sara ihren Mann aufschreien.
»Jared!«, rief sie. Sie wirbelte herum, aber er war nirgendwo zu sehen. Sie rannte an die Bahnsteigkante zurück. Er lag auf den Gleisen. Aus seiner Schulter floss Blut. »Jared, was ist? Kannst du mich hören?«
Er antwortete nicht. Seinem abwesenden Blick nach zu schließen, hatte er einen Schock erlitten.
Währenddessen half Claire Doniger Rafferty wieder auf die Beine. Rechts von ihr an der Bahnsteigkante lag Raffertys Waffe. Sara sah noch einmal zu ihrem Mann hinunter. Er begann bereits wieder, sich von seinem Schock zu erholen. Schnapp dir die Waffe, sagte sie sich. Jared kommt auch allein klar. Doch als sie auf die Waffe zustürzen wollte, hörte sie das elektronische Warngeräusch, das die Ankunft einer U-Bahn ankündigte. Als sie sich über die Bahnsteigkante lehnte, konnte sie bereits die Lichter der U-Bahn im Tunnel sehen. Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Jared lag immer noch da. Und die Waffe auch. Sie musste sich entscheiden. Die Wahl fiel ihr nicht schwer.
Doch als sie sich an der Bahnsteigkante abstützte, um auf die Gleise hinabzuspringen, packte Rafferty sie an den Haaren und riss sie nach hinten. Aber Sara gelang es, sich herumzudrehen. »Lassen Sie mich los! Ich bringe Sie um!« Blindlings um sich schlagend, krallte sie nach seinen Armen, nach seinem Gesicht – nach allem, was sie von ihm zu fassen bekam, nur damit er sie losließ. Mit so viel Entschlossenheit hatte Rafferty nicht gerechnet. Er ließ Sara los und ging in die Hocke, um die Waffe aufzuheben. Sara wusste, sie musste sich beeilen. Von der Bahnsteigkante konnte sie die U-Bahn bereits auf die Station zufahren sehen. Um noch auf die Gleise hinabzuspringen und wieder hochzuklettern, würde die Zeit auf keinen Fall reichen. Deshalb schrie sie: »Jared! Steh auf!«
Und tatsächlich versuchte Jared sich hochzurappeln. Seine Beine fühlten sich an wie aus Gummi, und als die Schmerzen einsetzten, wurde ihm vom Geruch seines eigenen Bluts übel.
»Es geht schon«, sagte Sara. »Nimm meine Hand!« Sie warf sich auf den Bauch und streckte ihren Arm zu Jared hinunter. Die einfahrende U-Bahn brachte den Boden zum Beben, und als der Lärm lauter wurde, stoben die Ratten davon.
Jared ergriff die Hand seiner Frau. Doch bevor sie ihn hochziehen konnte, sah sie, wie Jared über ihre Schulter blickte. Hinter ihr war jemand. Sie drehte sich um.
Rafferty hatte seine Waffe auf sie gerichtet und sah Jared mit kalten Augen an. »Lassen Sie sie los!«
»Bitte nicht«, flehte Sara.
Rafferty antwortete nicht. Er konnte die hellen Lichter der U-Bahn aus dem Tunnel kommen sehen. »Grüßen Sie Saras Eltern schön von mir.«
Nur noch ein paar Sekunden und die U-Bahn hätte sie erreicht. Das war Jareds letzte Chance, auf den Bahnsteig zu klettern. Aber um Sara nicht zu gefährden, ließ er ihre Hand los und wich vor ihr zurück.
»Was tust du da?«, schrie Sara, aber ihre Stimme ging fast im Getöse der einfahrenden U-Bahn unter.
»Er bringt dich sonst um!«, schrie Jared zurück.
»Das ist mir egal!«, rief Sara und streckte ihm weiter den Arm entgegen. »Komm zurück!«
Die U-Bahn hatte sie fast erreicht. Während Jared sich nach einer Fluchtmöglichkeit umsah, wurde Sara klar, dass er es nicht mehr schaffen würde. Die Zeit reichte nicht mehr. Inzwischen war nichts anderes mehr zu hören als das durchdringende Quietschen der U-Bahnräder auf den rostigen Gleisen, aber das hinderte Sara nicht daran, ihrem Mann ein letztes »Ich liebe dich« zuzurufen.
»Jared!«, schrie sie. »Jaaaared!« Und erst im letzten Moment zog Sara ihren Arm zurück und rollte sich von der Bahnsteigkante weg. Rafferty sah zu, wie die U-Bahn Jared verschlang, und trat lächelnd zurück.
Sobald die U-Bahn angehalten hatte, rannte Claire Doniger zu einer der sich öffnenden Türen und rief Rafferty zu: »Schnell weg!«
»Nein.«
»Was soll der Quatsch? Wir müssen hier weg!«
»Nicht, bevor ich seine Leiche gesehen habe.«
»Nicht, bevor du … Oscar, das ist unsere letzte Chance! Lass uns verschwinden!«
»Vergiss die U-Bahn. Das hier ist wichtiger.«
»Was willst du denn noch von ihnen! Wir können –«
»Du kannst ja gehen, wenn du willst. Ich bleibe. Diesmal gebe ich mich nicht mehr mit irgendwelchen Halbheiten zufrieden.«
Als das Glockenzeichen das
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